Als Wladimir P. eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem Schwulen verwandelt.
Er lag da mit nacktem Oberkörper und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, dass seine Brust gewaxt war und seine Zehennägel rosa lackiert.
In seinem Zimmer roch es süßlich nach Vanille, eine Duftkerze flackerte sanft ihre letzten lieblichen Flammen, aus dem Radio sang Elton John „Can you feel the love tonight“. Der verwandelte Wladimir wippte mit seinem linken Fuß leicht zum Takt und dachte, „Yes, i can!“
Dann schüttelte er sich: Njet, njet, njet. Was ist mit mir geschehen? Ich und schwul, das soll doch wohl ein Witz sein.
P. erhob sich aus dem Bett und sah zum Fenster. Ein Regenbogen breitete sich über die Landschaft. Zwei weiße Tauben spannten zwischen sich ein Peace-Zeichen auf einem gerüschten Satin-Tuch.
Das hübsche Muster sprang Wladimir sofort ins Auge und rührte seine zerbrechliche Seele zu Tränen. Die Welt ist voller Schönheit und Liebe, seufzte er. Nur ein tumber Russe verschließt sein Herz davor.
Dabei streichelte er zart über das Bild, das er einst aus der amerikanischen Ausgabe der Sports Illustrated ausgeschnitten und in einem prachtvollen Goldrahmen untergebracht hatte.
Es zeigte Barack O. beim Joggen. Verschwitzt und mit nacktem Oberkörper, braun gebrannt und mit Muskeln so kraftvoll wie die Waden eines gestählten Araberhengstes – autsch, Wladimir biss sich auf die Lippen, um seiner schier unzähmbaren Lust Einhalt zu gebieten. Konnte Liebe wirklich Zwangslager bedeuten?
Sein großes Vorbild Josef S. hatte einst gesagt, man muss den Feind erst gründlich studieren, bevor man ihn vernichtet. Deshalb hatte P. damals das Bild auf seinem Schreibtisch aufgestellt.
Je länger Wladimir an diesem schwülen Morgen seinen vermeintlichen Feind betrachtete, desto mehr verschwand der Hass aus seinem Herzen und machte Raum für die Liebe. Von Feindschaft keine Spur mehr. Jetzt stand Leidenschaft auf dem Programm.
Im Radio lief Michael Jacksons „Black or White“ und Wladimir fasste sich in den Schritt. Es kribbelte. Ich weiß, Barack schwarz – das passt doch wie vier Männer in einen vierer Bob, dachte er.
Nein, es macht wirklich keine „matter“, welche Hautfarbe man hat, ob du schwarz oder weiß bist, homo oder hetero, Russe oder Ukrainer, Mann oder Frau – alle Menschen sind gleich.
Und alle haben das gleiche Recht auf Liebe, Glück und Geborgenheit, dachte der über Nacht homosexualisierte P. weiter und schminkte sich die Lippen mit einem ukrainegelben Lippenstift.
In seinem Herzen wuchs der Wunsch, alle Schranken runter zu reißen, alle Barrieren zu durchbrechen und weltweiten Frieden zu schaffen.
Er wollte mit seinem geliebten Barack zum Brokeback Mountain reiten, am Fuße des Berges knietief im Flußwasser stehen und nach Lachsen fischen, am Abend die Beute am Feuer grillen, während die Sterne das Dach der Welt erleuchten, sich gemeinsam ein Zelt teilen, und dann – statt kaltem Krieg nur noch feurige Umarmungen, lodernde Leidenschaft, nur noch heiße Liebe unter warmen Brüdern austauschen. Rubbeln statt Rubel. Doller statt Dollar.
Dann schüttelte er erneut den Kopf. Njet, njet, njet. Wladimir, njet. Was hast du da nur für schwule Gedanken? Die sind doch gar nicht erlaubt in deiner Heimat. Die stehen doch unter Strafe. Die hast du doch erst kürzlich verboten.
Scheiße, dachte er, ich habe mich selbst verboten. Ich habe Menschen bestraft, die sich lieben und öffentlich zu ihrer Liebe bekennen, die Plakate tragen, auf denen steht: „Schwul sein ist normal.“
Wie konnte das ein Verbrechen sein? Jetzt, da ich selbst betroffen bin, sehe ich gar kein Vergehen mehr darin. Schwul sein ist wirklich normal – und steht mir gar nicht mal so schlecht.
P. betrachtete sich im Spiegel und spitzte die Lippen. Das Gelb des Lippenstifts schmeichelte dem Gelb seiner Zähne. Vor Freude tänzelte er wie eine Ballerina, die dringend aufs tütü musste, von einem Bein aufs andere. Von einem Bein aufs andere. Von einem Bein aufs… das erinnerte ihn an einen russischen Volkstanz, den er als kleiner Junge gern getanzt hatte – in den Kleidern seiner Mama.
Mensch, ich geiler Hengst, ich, dachte er. So was verboten Scharfes wie ich gehört aber auch eingesperrt. Wenn ich nicht ich wäre, würde ich sofort die Geheimpolizei rufen.
Plötzlich klopfte es von draußen an der Tür. Ach, du roter Schreck. Wer stört meine warmen Gedanken, dachte Wladimir und hörte auf, im Takt der Musik zu wippen. Im Radio sangen gerade Hot Chocolate „I believe in Miracle – where´re you from, you sexy thing.“
„Welch süßes Ding stört meine konzentrischen Kreise?“, fragte P. schnippisch. Seine Stimme klang zart und friedlich, zerbrechlich irgendwie. So ganz anders als sonst.
„Ich bin es“, sagte Ministerpräsident Dmitri M. so männlich wie er nur konnte. „Darf ich reinkommen?“
„Von hinten oder von vorne?“, fragte P. heiter und neckte seinen guten alten Freund. Er war froh, dass er es war an der Tür und nicht Putzfrau Ludmilla. Schon oft sind die beiden zusammen ausgeritten. Oben ohne auf der Jagd nach jungem Frischfleisch.
„Was soll diese schwule Scheiße?“ fragte Dimitri entrüstet. Wladimir wurde wütend. „Dass du dich unterstehst, schwul und scheiße in einem Satz zu nennen. Ich werd dir Manieren beibringen, Dimi. Und jetzt hopp, und rein mit dir in die warme Stube.“
In dem Moment bemerkte er seinen Fehler. Dimitri würde ihn zu einem Schwulen verwandelt erblicken und entsetzt nach den Sicherheitskräften rufen. Sie würden ihn verhaften, einsperren und auspeitschen. Oohh, auspeitschen, dachte er.
Aber wie so oft in seinem Leben waren die Gedanken des Wladimir P. von schlimmen Denkfehlern durchdrungen. Er irrte sich.
Als Dimitri ihn erblickte, stürzte er sich in die Arme des Freundes. „Ich wusste es. Endlich hast du es auch selbst erkannt.“
Da blickte Wladimir in den Spiegel und der Wahrheit ins Gesicht. Das ständige Rumprügeln mit anderen Jungs als kleiner Junge, der schwarze Gürtel in Judo, die Kälte gegenüber seiner Ex-Frau, das Eindringen in fremde Länder, das Penetrieren des Feindes von hinten, dieser unerklärliche Hass gegen sich liebende Männer – ich bin so was von schwul, dachte er und erschrak.
„Was werden jetzt die anderen sagen?“
„Die wissen es doch auch schon längst“, sagte Dimitri und beruhigte seinen schwulen Freund. Sie drückten sich und gaben sich drei brüderliche Küsse. Links, rechts und wieder links auf die Wangen.
Erleichtert tapste P. in Tütü aus seiner Kammer. Es folgte die historisch bedeutendste Pressekonferenz, die je im Kreml abgehalten wurde.
Wladimir P. entschuldigte sich bei allen Schwulen des Landes für das erst kürzlich verabschiedete Gesetz gegen homosexuelle Propaganda in der Öffentlichkeit und machte es mit sofortoger Wirkung rückgängig. Im Wortlaut sagte er: „Verzeiht, meine Brüder. Ich bin nun auch einer von euch.“
Im Anschluss verabschiedete er ein Gesetz gegen heterosexuelle Propaganda. Unter anderem wurden alle Plakate verboten, auf denen stand: „Normal sein ist normal.“ Denn Wladimir P. war zwar über Nacht zu einem Schwulen verwandelt, aber in seinem Inneren blieb er nach wie vor Wladimir P.