Die Jungs und Mädchen von ‚Ata

Vor ein oder zwei Jahren habe ich das Buch „Der Herr der Fliegen“ von William Golding gelesen.

Ein Klassiker und oft noch Pflichtlektüre in der Schule. Da geht es um eine Gruppe von Schülern, die auf einer einsamen Insel stranden und versuchen zu überleben. Weil sie jung, dumm und wild sind, eskaliert irgendwann die Situation. Am Ende gibt es drei Tote und das erschütternde Fazit, dass Menschen im Grunde böse sind. Besonders in Extremsituationen kommt das Schlechteste, Barbarischste und Grausamste in uns zum Vorschein. Punkt. 

Wenn man sich Big Brother, Temptation Island oder die Querdenker-Demos anschaut, könnte man sich darin sogar bestätigt fühlen. Aber so recht wollte ich das nie glauben, schon gar nicht aufgrund meiner eigenen Erfahrungen. Gefühlt waren in meinem bisherigen Leben die Menschen viel öfter nett und gut zu mir als umgekehrt. Vielleicht liegt das ja daran, weil ich selbst so ein netter und guter Mensch bin. Hm. 

Jetzt lese ich gerade ein Sachbuch von Rutger Bregman gelesen, das meinem Gefühl recht gibt. Das Buch heißt „Im Grunde gut“ und ich kann es jedem, der gerade an der Menschheit zweifelt, empfehlen. 

Bregman vertritt die Ansicht, dass Menschen im Grunde gut sind. Und in Extremsituationen eben genau das Gegenteil von dem passiert, was William Golding in Herr der Fliegen schildert: man hält zusammen, wird hilfsbereiter, schießt nicht aufeinander und singt sogar Weihnachtslieder in Schützengräben. Kurzum: Es menschelt. 

Bregman belegt diese Ansicht mit zahlreichen Belegen. Und er hat sich auch die Mühe gemacht, Goldings Geschichte auf den Grund zu gehen. Was er herausfindet, ist erstaunlich. Die Geschichte in „Herr der Fliegen“ ist frei erfunden und hat sich so nie zugetragen. Klar, ist ja auch nur ein fiktiver Roman.  

William Golding, selbst Lehrer, hat lediglich aus seiner subjektiven Weltsicht eine Geschichte geschrieben, was geschehen würde, wenn englische Schüler auf einen einsamen Insel strandeten. Als Pädagoge hatte er wohl keine gute Meinung von seinen Schülern.  Zudem war Golding Alkoholiker, litt unter Wutanfällen und Depressionen, schlug seine Kinder und konnte die Taten des Naziregimes gut nachvollziehen. Nichtsdestotrotz hat er für sein schriftstellerisches Werk sogar den Nobelpreis in Literatur erhalten, weil er laut Komittee das menschliche Wesen realistisch darstellte. 

Als ich „Herr der Fliegen“ gelesen hatte, fand ich die Geschichte auch durchaus realistisch. Aber laut wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie Einschätzungen von Psychologen spricht nichts dafür, dass es sich so jemals in Echt ereignet hätte auf der Insel. So barbarisch. So grausam. So unmenschlich.

Durch Recherche und Zufall fand Rutger Bregman auch einen Beweis dafür: Die Jungs von ‚Ata. Das war eine Gruppe von sechs Schülern aus Tonga, die ein Fischerboot stahlen, und in See stachen, weil sie keine Lust mehr auf das schlechte Schulessen hatten. Sie strandeten etwa 150 Km entfernt auf der unbewohnten Insel ‚Ata. Ein australischer Abenteurer fand die Jungs, weil er aus der Ferne auf die verbrannte Vegetation der Insel aufmerksam wurde. Als er mit seiner Crew am Ufer anlegte, konnte er nicht fassen, dass ein Junge auf ihn zustürmte und in feinstem Englisch sagte: „Ich heiße Stephen, wir sind zu sechst, und wir sind wahrscheinlich seit 15 Monaten hier.“ 

Und was haben die sechs Jungs während der ganzen Zeit gemacht? Sie haben Hütten gebaut, einen Gemüsegarten gepflanzt, eine Regentonne entworfen, um Trinkwasser zu gewinnen, ein Feuer ständig lodern assen, um gesehen zu werden, Badmintonschläger gebastelt und sogar eine Gitarre, abends saßen sie dann am Feuer und haben sich Gebete und Lieder vorgetragen. 

Wenn es Streitereien gab, gab man sich gegenseitig Freiraum, der eine ging auf die eine Seite der Insel, der andere auf die andere Seite. Ein Streitschlichter brachte die Streithammel nach einem halben Tag wieder zusammen und meinte: Entschuldigt euch und vertragt euch wieder.“ Als sich ein Junge sein Bein gebrochen hatte, haben die anderen ihm eine Schiene gemacht und ihm Bettruhe verordnet. Solange er nicht genesen sei, wollen sie ihn wie einen König behandeln, sagten sie. 

Diese Geschichte ist kein fiktiver Roman, sie ist wirklich so passiert.

All das Geschilderte wurde von den real existierenden Protagonisten erzählt, die das alles erlebt haben. Niemand von ihnen hat einem anderen die Köpfe eingeschlagen, niemand wurde ermordet, nichts Böses ist passiert.

Diese Geschichte sollte Pflichtlektüre in der Schule sein. Diese Geschichte hätte den Nobelpreis für Literatur verdient. Für die realistische Darstellung, nein für die reale Abbildung das natürlichen Verhaltens des menschlichen Wesens.

Denkt bitte daran, wenn ihr das nächste Mal über euch und eure Mitmenschen nachdenkt. 

Auch wenn es manchmal anderes schein, wir sind nicht die Herren und Damen der Fliegen, wir sind die Jungs und Mädchen von ‚Ata.

Wie sieht es bei dir aus? Glaubst du eher an der Gute oder das Schlechte im Menschen? Oder eher so 50/50? Tell me. Und lies hier weitere Geschichten oder schau dir ein paar meiner Videos auf youtube an. Das Letzte hat ein paar seltsame Gestalten zum Kommentieren gebracht. Aber ich glaube, die meisten haben es nur gemeint 😉