Immer geweint

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„Mate hat als kleiner Junge immer geweint“, sagt meine Mutter zu meiner Freundin beim ersten Treffen und ich suche verzweifelt nach einer Schaufel, um mir im Garten ein tiefes, dunkles Loch zu graben.

„Mamaaa“ flehe ich, doch sie sagt nur:
„Was denn, was denn, ist nur die Wahrheit, meine kleine Lady Diana.“

Dann packt sie ein Fotoalbum aus und zeigt meiner Freundin jedes einzelne Bild, auf dem ich mit Tränen in den Augen verewigt wurde. Eigentlich haben meine Eltern nur Bilder von mir mit Tränen in den Augen und ich frage mich zum ersten Mal, warum?

„Da hat Mate geweint, weil sein Vater ihm keine Schokolade mehr geben wollte, nachdem er schon fünf Tafeln gegessen hatte.

Da hat Mate geweint, weil sein Bruder ihm gesagt hat, dass er sterben werde, nachdem er ein Gramm Nivea-Creme verschluckt hat.

Und da hat Mate geweint, weil seine Lieblingsserie, dieser Unsinn mit dem gelockten großen Mann und dem sprechenden Auto abgesetzt wurde.“

Sie meinte Knight Rider und verdammt, natürlich habe ich da zehn Packungen Kleenex gebraucht, als die Serie abgesetzt wurde. Michael Knight und K.I.T., ein Mann und sein Auto kämpfen gegen das Unrecht.

Wenn ein Hindernis kam, betätigten sie einfach den Turboboost, whoom, überwindeten den Abgrund, besiegten das Böse, und am Ende bekam der gelockte große Mann das devote dauergewellte Mädchen und das sprechende Auto eine Autowäsche mit Unterbodenpolitur.

„Eine schreckliche Serie, wie kann man da nur weinen“, sagt meine Mama zu meiner Freundin und ich flehe erneut:
„Mamaa, hör endlich auf!“

Doch mein Loch im Garten ist schon so tief, dass sie mich nicht hören kann, aber noch nicht tief genug, dass ich nicht höre, was sie weiter erzählt.

„Aber auch als Mate größer wurde, na ja, also nicht mehr ganz so klein war, da kullerten die Tränen wie Perlen einer schlecht fabrizierten serbischen Halskette nur so über seine süßen roten Bäckchen.“

Ein Satz, den sich jeder Mann von seiner Mutter an seine zukünftige Frau mal wünscht.

Ich schaue kurz aus meinem Loch hervor, nur um mich gleich darauf tiefer darin zu verbuddeln, denn Mama holt ein weiteres Fotoalbum hervor – ein weiteres Best of ihres flennenden Sohnes.

„Habt ihr etwa nur auf den Auslöser gedrückt, wenn ich geweint habe“, rufe ich aus dem Loch ins Haus und Mutter antwortet:
„Ja, haben wir. Fotos waren damals sehr teuer und der Moment musste sich wirklich lohnen.“

Dann zeigt sie meiner Noch-Freundin weitere lohnenswerte Momente:
„Da hat Mate geweint, als sein Vater ihm kein Bier mehr geben wollte, nachdem er schon fünf getrunken hatte.

Da hat Mate geweint, weil sein Bruder ihm gesagt hat, dass er jetzt für immer prall bleiben werde, nachdem er ein Gramm Gras verschluckt hat. Oder hat er da gar nicht geweint, sondern war einfach nur prall. Keine Ahnung.

Aber da hat er definitiv geweint, weil da ist Bubba in Forrest Gump gestorben.

Und da ist die Mama von Forrest Gump in Forrest Gump gestorben Und da ist Jenny von Forrest Gump in Forrest Gump gestorben.

Ha ha ha, mein Gott, Mate hat den ganzen Film über geweint, dass wir einen ganzen Film verknipsen mussten, um ja jede Träne für die Erinnerung fest zu halten.“

Fuck. Ich versuche durch mein Loch ans andere Ende der Welt zu gelangen und ein neues anonymes Leben in Australien zu beginnen, aber der Schaufelstil bricht.

Also stürme ich ins Haus und schreie heulend,
„Mamaaa, Schluss jetzt“. Dabei reiße ich ihr die Fotoalben aus der Hand und werfe sie aus dem Fenster. Und Mutter? Sie packt ihr Smartphone aus und macht ein Foto von mir.

Als ich versuche mit tränenüberströmtem Gesicht nach ihrem Smartphone zu greifen, nimmt mich meine Freundin in den Arm:
„Hey. Es ist okay. Wenn die Tränen da sind, muss man sie rauslassen. Ich mag Männer, die weinen können.“

Was soll ich sagen, Freunde? Seitdem weine ich ganz ungeniert – vor, mit und wegen ihr. Vor Glück bei unserer Hochzeit, vor Freude bei der Geburt unserer ersten Tochter, vor Angst bei der Geburt unserer zweiten Tochter, weil die nicht gleich selbstständig atmen konnte und auf die Intensiv musste. Und dann vor Erleichterung, als die russische Krankenschwester meinte, dass unser Baby gar nichts auf der Intensiv verloren hätte, weil sie ein richtig starkes Saugetier wäre.

Ich weine, wenn ich keine Zeit zum Schreiben habe oder wenn ich zu viel Zeit zum Schreiben habe und dann nicht schreibe, weil sich die vielen Gedanken in meinem Kopf gegenseitig auf die Füße steigen, weil sie so viel wollen, aber in dem Moment nicht so viel können, und ich dann lieber im Internet surfe, um danach zu jammern, dass ich den ganzen Tag im Internet gesurft habe. Und jammern, das ist ja wie Weinen, nur ohne Tränen.

Ich weine, wenn die Katze auf den Wohnzimmerteppich pinkelt, es im ganzen Haus nach Urin stinkt und ich mit meiner Frau darüber streite, wer das Pipileaks weg macht, ich dann immer verliere, weil meine Frau die alten Fotoalben auspackt, die ihr meine Mama zur Hochzeit geschenkt hat und da, da und da sagt.

Manchmal, da weine ich, weil ich so heftig lache, manchmal weine ich auch noch bei Filmen, neulich erst bei Guardians of the Galaxy Vol. 2, als sie Michael Knight töteten, die Schweine, und manchmal, da weine ich einfach so, mit oder ohne Grund, einzig nur deshalb, weil ich es kann.

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