Es gibt Nächte, da wache ich auf einmal auf. Zwischen Finsternis und Morgengrauen. Der Schmerz in meinem Rücken und die Schwere auf meiner Brust treiben mich aus dem Bett. Sie zwingen mich, meinen Körper zu strecken. Meine Muskeln zu dehnen.
Es ist nichts Seelisches. Schon lange schlafe ich ohne schwere Gedanken ein und ab und an sogar durch. Die Zeiten, in denen mich Kummer und Sorgen plagten, sind seit einer Weile unter der Vergangenheit begraben. Mein Leben verläuft in zufriedenen Bahnen.
Meine Verlobte und Tochter zaubern mir ein wohliges Gefühl in die Bauchgegend. Sie versorgen mich mit Kraft und Zuversicht. Mein freiberufliches Tun entwickelt sich von Monat zu Monat ertragreicher. Ich habe mein Chaos besser und besser im Griff. Demut, Disziplin und Ausdauer sind die halbe Miete. Auch im teuren München.
Die Kirchenglocken läuten sechs. Seit zwei Stunden hält mich mein Leiden wach. Mein Bewusstsein setzt sich in Gang. Ein Schluck Pfefferminztee wärmt meine neuronalen Pfade und lässt mich ein wenig verschnaufen. Das Einschlafen gelingt mir gut, an dem frühen Aufwachen muss noch gearbeitet werden.
Es ist etwas Körperliches. Ich kann nicht sagen, wann es genau begann mit den Schmerzen. Das liegt bereits Jahre zurück und ich kann mich nicht mehr an den Auslöser, wenn es überhaupt einen gab, erinnern. Früher oder später verschwimmt jede Erinnerung und verstrickt sich mit der eigenen Dichtung zu einem unentwirrbaren Knäuel. Selbst bei denen, die sich gut erinnern.
Mein Gedächtnis ist wie ein Schweizer Käse. Viele Löcher umgeben das bisschen Substanz und so bevorzuge ich die Gegenwart. Delikat und zart.
Flüssigkeit rauscht durch Heizungsrohre, Wasserhähne tropfen. Die Wanduhr tickt, der Kühlschrank röhrt. Die Welt finstert noch ein wenig vor sich hin. Die Ruhe der Nacht birgt viele Geheimnisse in sich. Und Geschenke.
Ein erster Hausbewohner in der Berthold 14 lässt Wasser, betätigt die Spülung, dreht die Dusche auf. Autotüren gehen auf und zu. Ein Mann vergräbt seine Hände tief in den Jackentaschen. Ein Winterfahrzeug schlittert vorbei. Vögel höre ich keine. Es wird wieder kälter da draußen.
Ich sitze am Küchentisch, trinke Tee, übe mich in Achtsamkeit und schreibe. Halte inne, lausche. Denke über den nächsten Satz nach. Einen nach dem anderen. Ein Wort folgt aufs Nächste, die richtige Kombination ist der Schlüssel, der alle denkbaren Welten öffnet.
Vielleicht muss das so sein. Ein Künstler braucht seinen Schmerz, um etwas zu schaffen, hat ein Freund zu mir gesagt.
„So gesehen ist es gut, dass du leidest.“
Schwer zu sagen, ob ich ihm recht geben soll. Wieder einmal beschwerdefrei durchschlafen, hat bestimmt auch viel Kreatives.
Langsam streckt die Dämmerung ihre Fühler nach der Stadt aus. Ich vergesse meine Leiden über diesen Zeilen. Wenn alle erwachen, lege ich mich schlafen. Das geht schon in Ordnung so. Das muss man im spannungsgeladenen Kontext betrachten. Antizyklisch. Anti. Zyklisch. Mir die Nacht, euch der Tag. Lasst uns sehen, was am Ende dabei rauskommt.