Früher habe ich Fußball im Verein gespielt. Mein größter Wunsch war es, dass meine Eltern mir einmal bei einem Spiel zusehen. Am besten natürlich, wenn ich in der Form meines Lebens bin, alle Gegner gekonnt umkurve und per noch nie gesehenen Fallrückzieher das alles entscheidende Tor zum Sieg schieße.
Blöd nur, dass die Gegner stets mich gekonnt umkurvten, ich gar keinen Fallrückzieherkonnte und meine Eltern nie Zeit hatten, mir beim Spielen zuzusehen, weil sie ein Restaurant führen und arbeiten mussten.
„Einmal könntet ihr euch doch frei nehmen.“
„Das geht nicht, Junge, aber versuch es mal mit Schach.“
„Schach?“
„Ja, das könntest du hier im Restaurant spielen und wir könnten dir dabei zusehen.“
„Und Schach passt auch viel besser zu deiner intellektuellen Art. Fußball, das ist was für richtige Männer und du, nun, wie sollen wir es sagen…“
Sie mussten nichts sagen, denn ich verstand. Enttäuscht hängte ich meine Fußballschuhe an den Nagel und schmollte in meinem Zimmer, ohne dabei das Schachbrett hervor zu holen.
Doch jede Erfahrung hat auch ihre guten Seiten. So konnte ich bestens nachvollziehen, wie Roman Luwandowski sich gefühlt haben musste, als seine Mama ihm sagte, dass sie nicht zur EM kommen werde, um ihm beim Fußballspielen zuzuschauen.
Roman Luwandowski liebte Fußball wie Chuck Norris Roundhousekicks, Superman Louis Lane oder der türkische Präsident Journalisten ins Gefängnis sperren.
Während andere Jungs mit Mädchen spielten, spielte Roman mit Bällen, streichelte die Noppen seiner Adidas Predator und verfasste Liebesbriefe an die Fifa, Uefa und den polnischen Fußballverband. Bevor er sie verschickte, sprühte er sie noch mit dem Rasierwasser seines Bruders ein – Goal von Giorgo Abseits, zwei Spritzer und man fühlte sich schon am morgen wie ein echter Weltmeister, auch wenn man nur ein falscher Busfahrer war.
Das Einzige, was Roman mehr liebte als Fußball, war seine Mama, Romana Luwandowska, und das lag vor allem daran, dass sie seine Fußballtrikots immer so schön kuschlig weich wusch.
Umso schlimmer war es natürlich, dass seine Mutter nichts mit Fußball anfangen konnte. Da half ihm auch kein, „Aber Mama, ich bin der beste Mittelstürmer der Welt“, „Mama, ich hab mal 5 Tore in 12 Minuten geschossen“ oder „Mama, dass ich schiele ist eindeutig ein Vorteil, denn so wissen die Gegner nie, in welche Richtung ich laufe.“
Jedes noch so gute Argument wischte seine Mama beiseite mit einem, „Ah, immer dieser Fußball. Ich kann es nicht mehr hören“
Das erinnerte Roman an früher, wenn er seiner Mutter neue Tricks vor dem Küchenfenster vorführen wollte,während sie drinnen Bigos und Piroggen kochte.
„Schau mal Mama, ich kann jetzt einen vierfachen Übersteiger“, schrie Roman in solchen Momenten, aber seine Mutter zog die Gardinen zu und schrie zurück.
„Ah, immer dieser Fußball. Nimm dir ein Beispiel an deinem Bruder – der ist Busfahrer. Sitzt den ganzen Tag im Trockenen und seine blauen Hemden bleiben auch stets sauber.“
„Aber Mama, Busfahren ist doch kacke, ich werde später mal Ferrari fahren.“
„Mag sein, mein Junge, aber vorher räumst du noch dein Zimmer auf.“
Der Grund, warum Romana Luwandowska Fußball hasste, waren die Grasflecken in Roman Luwandowskis Trikots. Die gingen so verdammt schwer raus und das verletzte ihren Stolz als Hausfrau und Mutter. Manchmal fühlte sie sich wie eine richtige polnische Putzfrau.
Einmal, als sie ihr Sohn erneut bedrängte, ihm doch endlich beim Spielen zuzuschauen, platzte es aus hier heraus.
„Solange ich deine Trikots mit diesen ganzen verfluchten Grasflecken waschen muss, kriegen mich keine zehn Hooligans auf einen Fußballplatz.“
Da erkannte der junge Roman, was Sache war. Der Fußballgott hatte ihn erleuchtet und er schwor sich so hart zu trainieren, dass er eines Tages nicht nur den sechsfachen Übersteiger drauf hätte und fünf Tore in 12 Minuten schießen, sondern sich auch einen Ferrari und seiner Mutter eine richtige deutsche Putzfrau samt Jahresvorrat an Persil Megeapearls extraweiß kaufen könnte. Seine Mutter würde vor Stolz bestimmt platzen, denn deutsche Putzfrauen waren in Polen echte Raritäten.
Nachdem der F.C.Bauern ihm sein Jahresgehalt von zehn Millionen Euro auf fünfzehn Millionen Euro erhöhte, war es endlich soweit.
Helga stand vor Romana Luwandowskas Tür, klingelte und als die Tür aufging sagte sie in gebrochenem Polnisch: „Hallo, heiße ich Helga, bin ich hier zum Putzen.“
Die beiden wurden beste Freundinnen, vor allem, als Helga Romana zeigte, wie man Grasflecken wirkungsvoll entfernte.
„Du kannst sie mit selbst gebrannten Schnaps einreiben, sie in selbst gemolkene Milch tauchen oder sie auf selbst gekaufte, halbierte Kartoffel legen.“
„Ah, Helga, du bist die Beste. Aber jetzt ist EM, lass uns Fußball schauen, mein Junge spielt gleich im Fernsehen.“
Leider gab es keine Karten mehr für das Viertelfinalspiel gegen Portugal und Romana musste ihrem Jungen von der Couch zuschauen. Aber das machte nichts. „Meine Mama schaut mir endlich beim Spielen zu“, dachte Roman und grinste diesmal vor dem Anpfiff besonders breit in die Fernsehkameras. Gut, vielleicht grinste er auch wegen der fetten Gehaltserhöhung, die ihm sein Boss Karl-Hans Rumenicknack gegeben hatte, wer wusste das schon.
Und wer weiß, wenn er geahnt hätte, dass seine Mutter keine zehn Minuten später umschalten würde, hätte er vielleicht auch nicht mehr so breit gegrinst. Denn die endgültige Wahrheit dieser Geschichte war, Romana Luwandowska fand Fußball einfach so unsäglich langweilig. Eigener Sohn bester Mittelstürmer der Welt hin oder her, auf Polsky TV begann gerade eine neue türkische Telenovela mit polnischen Untertiteln, die sie und Helga auf gar keinen Fall verpassen wollten. Und auch nicht verpassten.
Was mich anbetrifft, irgendwann holte ich dann doch das Schachbrett hervor und spielte im Restaurant vor den Augen meiner Eltern. Bei jedem Zug, den ich machte, klatschten Sie, bei jedem Zug, den der Gegner machte, buhten sie, und während ich zufrieden in die Familienkamera grinste, skandierten sie „Acht weiße Bauern, es gibt nur acht weiße Bauern, acht weiße Baaaauern, es gibt nur acht weiße Bauern“ und weitere bekannte kroatische Schachgesänge, die das Publikum fröhlich stimmten.