Wenn Eltern ihre Kinder mit falschen Sätzen erziehen, ist es schwierig diese Sätze als Erwachsener jemals aus dem Kopf zu kriegen.
„Junge, du musst hart für dein Geld arbeiten. So hat es mein Großvater getan, so hat es mein Vater getan und so tue ich es jetzt auch. Es gibt keinen anderen Weg zum Glück.“
Wenn dir jemand so was ganz früh in deinem Leben eintrichtert, wie zum Teufel sollst du da zu einem anständigen faulen Menschen heranwachsen? Jede Gelegenheit, die sich dazu bietet, schlägst du unterbewusst aus.
„Hey, komm zu uns in die Firma, da musst du nicht so hart arbeiten, bekommst die Überstunden ausbezahlt und sogar ein 13. Monatsgehalt.“
„Ahhh, nee, lass ma, das ist mir viel zu entspannt. Mein Vater hat immer gesagt, dass…“
„Ja, ja, bla, bla. Geh scheißen.“
Oder wenn dir deine Eltern sagen, „ In diesem Leben wird dir nichts geschenkt“, vermutest du jedes Mal, wenn dir jemand etwas schenkt, einen Haken dahinter.
„Ok, was muss ich tun, um mir das Geschenk zu verdienen?“
„Wenn Sie so fragen, sie könnten unseren Parkettboden schleifen.“
„Ach, kommen Sie, es ist doch nur ein Kugelschreiber mit einem Firmenlogo drauf.“
„Sie sind aber undankbar, her mit dem Stift.“
Ich erinnere mich, wie mir mein Vater, als wir nach Deutschland kamen, folgendes mit auf den Weg gab:
„Junge, du bist hier nur zu Gast, benimm dich auch so.“
Heiliger Knigge, diese Worte haben mein Leben komplett auf den Kopf gestellt. Schließlich hatte ich als sechsjähriges Kind keine Ahnung, wie man sich als Gast richtig benimmt.
Da es damals noch kein Internet, geschweige den Google gab, lieh ich mir in der Bücherei einen Benimmratgeber aus. Die wichtigsten Regeln für Gäste.
Puh. Schon der erste Tag im Kindergarten war eine echte Herausforderung. Was ziehe ich an, den schwarzen Smoking oder das kurze Rosafarbene, was bringe ich mit, Blumen, Pralinen oder Wein, und wie verabschiede ich mich gebührend von den Gastgebern.
„Vielen Dank, Frau Kindergärtnerin, es hat mir große Freude bereitet, Ihr Gast zu sein. Sie haben ein zauberhaftes Zuhause. Und die ganzen Spielsachen. Das sollten wir unbedingt bald wiederholen.“
„Wie wäre es mit morgen?“
„Was, also wie, ich meine, ich weiß gar nicht, was ich anziehen soll morgen, das kurze Rosafarbene muss in die Reinigung, nachdem mir Olivia Kakao drüber geschüttet hat, und ein neues Gastgeschenk brauche ich auch noch.“
Meine Kindergärtnerin zeigte sich sehr verständnisvoll.
„Aber, Mate, mach dir doch nicht solche Gedanken. Morgen ziehst du einfach deinen Smoking an und wegen dem Gastgeschenk, ich steh ja total auf Ferrero Küsschen.“
In der Schule war es einfacher. Die meisten Lehrer standen auf Wein. Heute weiß ich, dass es unangebracht war, jeden Tag mit drei, vier Flaschen zum Unterricht zu erscheinen. Zur Begrüßung gab es nämlich weder Aperitif noch Häppchen, Smalltalk mit anderen Gästen war streng verboten und auf den Tischen durfte man auch nie tanzen.
Im Nachhinein betrachtet waren meine Lehrer miese Gastgeber, doch der Worte meines Vaters eingedenk verabschiedete ich mich dennoch stets höflich.
„Herr Lehrer, es war eine zauberhafte Zeit bei Ihnen. Sie haben ein großartiges Klassenzimmer. Besonders die grüne Tafel an der Wand passt hervorragend zur weißen Kreide im Fach. Das sollten wir unbedingt bald wiederholen.“
„Wie wäre es mit morgen? Aber eine Bitte: Bring anstatt dem Wein eine Flasche Korn mit, ja.“ Verdammte Etikette.
An der Uni änderte sich meine Einstellung. Die Professoren zeigten mir, was echte Gastfreundschaft bedeutete. Immer wenn ich ihnen ihre tägliche Flasche Wein oder Korn brachte, boten sie mir auch ein Glas an. Und wenn die mitgebrachte Flasche leer war, zauberten sie aus ihrem Studierschränkchen noch die ein oder andere weitere hervor.
Als es Zeit zu gehen war, lallte ich meistens wie ein Kind, das noch nicht sprechen konnte.
„Frau Professorin, es war eine echt dufte Vorlesuuuung mit ihnen, hicks. Sie haben da einen großartigeeen Hörsaal. Das sollten wir unbedingt nicht so bald wiederholen.“
Seitdem bin ich als Gast etwas routinierter geworden. Beim Betreten von Supermärkten lasse ich die Schuhe an und gebe auch nicht mehr den Kassiererinnen vor den Kassierern die Hand. Benimmregeln ändern sich und die Gender Studies tun ihr übriges.
In der U-Bahn setze ich mich ohne zu warten, bis mir der Zugführer den Platz zuweist. Ich verlasse nicht mehr die Arbeit vorzeitig, wenn die Stimmung mal mau wird. Und beim Arzt spreche ich sogar über Krankheit und Tod, obwohl das nach wie vor absolute Tabu-Themen im Gespräch zwischen Gast und Gastgeber sind.
Schlussendlich kann man sagen, dass ich langsam auf der Party ankomme. Ich weiß, wie man das Eis bricht und die Stimmung auftaut. Wie man es sich in einer kuscheligen Ecke mit einer schönen Lady gemütlich gemacht, Häppchen isst, das Treiben der anderen Gäste beobachtet und die Musik aus der Anlage genießt.
Meine Tochter erziehe ich mit Sätzen wie, „Kleine, du kannst auch leicht arbeiten für dein Geld“, „Wenn dir in diesem Leben jemand etwas schenkt, sag einfach danke“, und „Du bist hier Zuhause, benimm dich auch so.“
Mein Vater ist übrigens vor kurzem nach Kroatien zurückgekehrt. In Deutschland hat er sich sein Leben lang nur als Gast gefühlt. Was seltsam ist, wo er doch hier ein kroatisches Restaurant führte und den Gastgeber gab. Ich bin froh, dass das so war. Anders hätte ich für die vielen Weinflaschen, die ich über die Jahre verschenkt habe, ganz schön hart arbeiten müssen.