Das beglückend unglamourös Reale

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Wenn ich so auf der Couch liege und die Beine wie zu einem gleichschenkligen Dreieck anwinkle, schmerzt es mich in den Hüften. Und obwohl die Müdigkeit meiner Augen schreit, leg mich hin, mach mich zu und schenk mir endlich die langerersehnten Träume, dringt sie nicht zu mir durch.

Draußen ist es noch Nacht. Die großen und kleinen Menschen schlafen. Einzig die Katze und ich warten darauf, dass der Tag das Versteckspiel beendet und sich uns ergibt.
Hier bin ich. Jetzt seid ihr dran.

Vor mir ragt der geschmückte Weihnachtsbaum zur Decke und ich frage mich, ob er heute so enden wollte, als er damals noch eine kleine Nordmanntanne war.
Hat er womöglich zu seinen Stammeseltern gesagt:
„Eines Tages, Baby, möchte ich mit bunten Kugeln, Holzschnitzereien, Lichterkette und Lametta beschmückt werden und Geschenke unter mir versteckt haben.“

Und seine Eltern haben womöglich geantwortet:
„Aber Tanni, du bist ein Nadelbaum, du gehörst in den Wald“, worauf Tanni erwiderte:
„Nein, ich bin etwas Besonderes und anders als die anderen.“

Und dann hat er geträumt, City of Stars gesungen und seinen Traum gelebt, hat sich fällen, verkaufen, im Wohnzimmer aufstellen und schmücken lassen. Mit einem goldverzierten Stern als Krone auf seiner Spitze.

Wie ein König thront er jetzt.
Und hier.
Ein König ohne Macht.
Anders und doch gleich.

Da ist ein schräger Typ auf der Couch, der hat die Beine so komisch angewinkelt, dass seine Hüften schmerzen, und er starrt mich mit seinen müden Augen so seltsam an, als ob er versucht, einen tieferen Sinn in mir zu finden, während die Katze das Lametta von den Zweigen leckt, um es kurz darauf wieder auf die Zweige zurück zu spucken.

Wenn man nur am Verwirklichen seiner Träume arbeitet, kann am Ende die Wirklichkeit ganz schön ernüchternd wirken. Selbst wenn sie auf den ersten Blick prunkvoll und majestätisch erscheint.

Vielleicht wäre es im Wald neben all den anderen gleichen Tannen, Fichten und Bäumen auch ganz in Ordnung gewesen, denkt sich Tanni, denke ich.

Das heißt jetzt nicht, dass man aufhören sollte, zu träumen, aber vielleicht sollte man aufhören, in seinen Träumen die endgültige Erfüllung des Daseins zu sehen und erkennen, dass auch das vermeintlich unglamourös Reale wunderbar beglückend sein kann.