Das aktuelle Chartlied „Stimme“ von Mark Foster und Felix Jaehn finde ich recht seltsam. Bereits die erste Strophe verwirrt mich total, wenn es heißt, „Da, wo guter Rat teuer ist.“ Ja leck, welcher Rat ist jetzt damit gemeint und warum muss der so teuer sein?
Steht da jemand grad an der Genius Bar des Apple Stores mit seinem defekten iphone und hört,
„Reparieren sie es. Kostet 200 Euro.“
„Die Reparatur?“
„Nein, dieser Rat.“
„Das ist aber ganz schön teuer.“
„So ist das mit guten Ratschlägen. Vor allem, wenn sie von Apple Genies kommen.“
Aber es wird noch schlimmer. Der Liedtext geht weiter mit, „Wenn du lost und gebeutelt bist.“ Was? Zuerst habe ich überlegt, was „lost“ bedeutet. Weil das nämlich ein deutsches Lied ist und nirgends sonst Fremdwörter vorkommen, war meine erste Vermutung, die beiden Meisterlyriker meinen, wenn du lost.
Also wenn du ein Los ziehst und dann eine Niete erwischt und deshalb gebeutelt bist, hör auf die Stimme des Losverkäufers, die da sagt, „Nehmen sie noch zehn Lose und werden sie weiter vom Glückspiel verarscht.“
Irgendwann hab ich Depp natürlich gecheckt, dass mit „lost“ verloren gemeint ist. Englisch. Da dachte ich mir, dass die beiden Meistermusikanten bestimmt irgendwo im Urlaub den Weg zum Hotel gelostet haben. Weil sie ja, laut Strophe zwei, ihre Reise ohne Navi angetreten sind. Dann mussten sie nach dem Weg fragen und ein Einheimischer hat ihnen gesagt: „Senors, listen. The Hilton ist always gerade aus and then links.“
Als die zwei begnadeten Songwriter dann den Weg gefunden hatten, waren sie so beseelt mit ehrlichen, glücklichen Happyhormonen, dass sie sich im Hotelzimmer gleich einen freshen Smoothie aus der Minibar gönnten, und, noch bevor sie mit ihrer lustigen Kissenschlacht begannen, der sie den ganzen Tag sehnsüchtig entgegen gefiebert hatten, den Refrain anstimmten: „Hör auf die Stimme, hör was sie sagt.“
Voll nice und deep, wie die hippen Typen von heute sagen, aber Teufel, welche Stimme ist nun damit verdammt?
Für Irre muss das Lied total verwirrend sein. Aber auch ermunternd für ihren crazy Lebensstil. „Ich hör auf die Stimme. Und auf die. Und auf die. Ui, ist das toll. Normale Menschen hören nur eine Stimme, ich höre hunderte. Ich bin gesegnet mit Talent. Lala lala la.“
Doch was ist mit all jenen unter uns, die nicht so gebenedeit unter dem Himmel wandern und arm an Stimmen sind? Oder vielleicht gar keine Stimme haben, weil sie eine übelst fiese Erkältung erwischt hat und sie sich nun mit ganz schrecklichen Halsschmerzen plagen? Auf welche Stimme sollen die hören?
Auf die Stimme des U-Bahnfahrers, die sagt,
„Der Zug hat auch in der Mitte Türen.“
Auf die Stimme des kleinen Kindes in dir, die erwidert,
„Ich will aber vorne sitzen.“
Oder doch eher auf die Stimme am Flughafen, die verkündet: „Bitte lassen sie ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt“.
Aber was machst du, wenn du gerne Koffer stehen lässt, weil irgendeine, vielleicht die Stimme deines Herzens dir sagt, „Lass es raus, Kumpel, keiner wird was riechen.“
Koffer stehen ist der süße Terrorangriff des kleinen Mannes. Gasexplosion in kompakt sozusagen. Es wird zwar nicht mit dem Paradies entlohnt, aber zweifelsohne mit himmlischer Erlösung. Das Beste: Niemand kommt dabei um. Und das wird man ja nochmal wagen dürfen.
Wenn du jetzt aber kein hinterhältiger Koffersteher bist, sondern empfänglich für Flughafendurchsagen, musst du dann im Frachtraum mitfliegen? Weil spätestens bei der Gepäckabgabe musst du ja den Koffer stehen lassen. Doch dann ist dein Gepäck unbeaufsichtigt. Also willst du mit, weil du ja auf die Stimme hören willst. Musst.
Was ein wenig dumm ist. Weil, wenn in deinem Koffer etwas Explosives steckt, solltest du es lieber unbeaufsichtigt im Frachtraum verschwinden lassen. Und am besten mit dem nächsten Flieger deine Reise fortsetzen. Mit Navi, damit du nicht mehr nach dem Weg fragen musst. Und nie wieder lost und gebeutelt bist.
So gesehen müsste die Stimme am Flughafen vielmehr verkünden:
„Falls Sie in ihrem Gepäck eine Bombe vermuten, lassen Sie
es bitte unbeaufsichtigt. Wir haben Experten. Die kümmern sich darum.“
Keine Ahnung, wie ich jetzt von diesem schrecklichen Lied zum Flughafen gekommen bin, muss wohl irgendwo falsch abgebogen sein, weil so viele verschiedene Stimmen auf mich eingeredet haben.
Immer wenn das passiert, finde ich es viel besser, auf die Stille zu hören als auf die Stimme. Aber auf die Stille hören ist ja auch irgendwie seltsam. Semantisch betrachtet.
Scheinbar lassen sich so trotzdem ganz große Lieder zaubern. Und so schlage ich den beiden grandiosen Mozarten unserer Zeit, Mark Forster und Felix Jaehn, als Nächstes folgende hitverdächtigen Liedzeilen vor:
Schau auf die Augen. Schau, was sie sehen.
Geh mit den Beinen. Geh, wohin sie gehen.
Wart auf die U-Bahn, wart bis sie kommt.
Und dann hör auf die Stimme des Fahrers, die sagt:
Dieser Zug hat auch in der Mitte Türen und sie dürfen sie sogar benutzen. Vorne und hinten habe ich die Heizung extra ein wenig runter gedreht und in der Mitte extra ein wenig aufgedreht. Kommen sie, kommen sie, gleich geht es weiter, gleich geht es rund. Wer will nochmal, wer hat noch nicht. Bitte alle zusteigen. Nichts geht mehr. Die Türen schließen jetzt. Es ist vorbei. Versuchen sie ihr Glück in fünf Minuten wieder. Mit der nächsten U-Bahn. Fühlen sie sich nicht lost und gebeutelt. Bleiben sie immer schön smooth und sexy. Guten Zug. Ihre MVG.“