Als vor Jahren eine Freundin von mir mit ihrem langjährigen Freund Schluss machen wollte, riet ich ihr, eine Liste zu verfassen.
„Auf die eine Seite schreibst du seine negativen Eigenschaften, auf die andere Seite seine positiven. Am Ende vergleichst du, welche überwiegen“, sagte ich zu ihr.
„Nö!“, sagte sie. „Ich trenn mich ohne Liste von ihm. Ich weiß jetzt schon, dass er ein Arsch ist, der nicht mehr zu mir passt.“
Heute beim Schreiben kam mir diese Geschichte wieder in den Sinn und ich dachte, warum verfasst du nicht auch eine solche Liste. Eine Liste über dein eigenes Ich. So erfährst du, ob es zu dir passt oder nicht.
Jeder hat Eigenschaften an sich, die ihm gefallen und solche, die er nicht so gerne sieht. Ich begann mit dem Negativen.
Mein Ich ist wahnsinnig fahrig und undiszipliniert. Dem faulen Schweinehund fällt es schon schwer, in der früh aus dem Bett zu kommen. Wenn der Wecker klingelt, drückt er x mal auf die Schlummertaste, bis er verschläft und dann den ganzen Tag der verlorenen Zeit hinterher läuft.
Überhaupt verschenkt er seine Zeit zu leichtfertig. Anstatt sich konzentriert an den Schreibtisch zu setzen und konstruktiv ein paar Seiten seines Notizbuchs zu füllen, fährt Ich erstmal den Rechner hoch und checkt seine Mails. Dann schaut er auf Facebook, was da so abgeht. Liked überflüssige Statusmeldungen oder verfasst selbst welche. Dann geht er auf stern.de, spiegel.de, zeit.de oder sz.de und liest die überflüssigen Schlagzeilen des Tages.
Danach tun dem Idioten die Augen weh von zu viel Bildschirmflimmern. Er hat soviel Informationen im Kopf aufgesaugt, dass dieser wie ein zu voll eingeschenktes Glas umkippt und alle Informationen verschüttet.
Mein Ich fühlt sich dann doof und dämlich und geht erstmal auf die Terrasse eine rauchen. Im Moment ist er zu schwach, um darauf zu verzichten. Gut, es sind nur zwei, drei Kippen am Tag, aber so gesehen zwei, drei Kippen zu viel am Tag. Richtig schmecken tun sie ihm auch nicht. Manchmal könnte ich das Arschloch echt erwürgen.
Jeder Zug, den Ich nimmt, erinnert mich an seine Willensschwäche und macht mich rasend. Wütend auf ihn und seine lasche Arbeitsmoral. Wütend darauf, dass er so eine verschlafene Pennsocke ist, die ihre kreative Kraft nicht bündelt und auf ein konkretes Ziel fokussiert, sondern gnadenlos in alle virtuellen Winde verstreut, bis nichts mehr davon übrig bleibt.
Im Anschluss lässt Ich sich demotiviert und geknickt auf die Couch fallen, blättert in Illustrierten, liest weitere überflüssige Artikel und saugt noch mehr unnützes Wissen auf, das er nicht wirklich braucht, um eine gute Geschichte zu verfassen.
Das Schlimmste aber ist, dass Ich manchmal so hart und erbarmungslos gegen sich selbst vor Gericht zieht, dass er dabei vergisst, sich als sein Anwalt vor dem Richter zu verteidigen. Ein komischer Kerl, der natürlich auch seine guten Seiten hat.
Ich nimmt sich nicht allzu ernst und steht seinem Tun durchaus kritisch gegenüber. Natürlich weiß der Kindskopf mittlerweile um seine Stärken und nutzt sie auch immer öfter. Situationen, die ihm unangenehm sind, versucht er zu ändern, aus seinen Motivationslöchern zieht er sich eigenständig hoch. Seine innere Stimme weist ihm die Richtung. So drückt er die Kippe aus, legt die Illustrierte zur Seite und los.
Ich blickt optimistisch nach vorne, ohne sich sehnsuchtsvoll nach hinten umzuschauen. Auch wenn es ihm schwer fällt, seinen eigenen Weg zu gehen, versucht er genau das. Und obwohl er sich dabei immer wieder selbst die Steine vor die Füße legt, gelingt es ihm, diese immer wieder selbst zur Seite zu räumen. Davon könnte auch ich mir eine Scheibe abschneiden.
Der Sex ist gut. Ich weiß genau, welche Knöpfe er bei mir wann zu drücken hat. Und wenn ich Ich nicht gerade in die Wüste geschickt habe, ist er auch immer für mich da, wenn ich ihn brauche.
Unzählige Dinge ließen sich noch aufzählen. Für die eine Seite wie auch für die andere. Am Ende wäre das Ergebnis wie jetzt: unentschieden.
Vielleicht gebe ich meinem Ich noch eine letzte Chance und wir versuchen es, in Zukunft die Zukunft besser zu machen. Zu viel haben wir bereits in die Beziehung rein gesteckt, um jetzt leichtfertig einen Schlussstrich zu ziehen. Einunddreißig Jahre voller Schweiß, Blut, Tränen, aber auch Freude, Glück und Gelassenheit sind nicht so leicht von der Liste zu weisen.
Auf der anderen Seite, vielleicht ist mein neues Ich ja einfach cooler, disziplinierter und humorvoller als mein altes Ich. Nicht so streng zu mir. Lieb zu Tieren. Nett zu alten Menschen.
Doch, falls ich mich für eine neue Beziehung entscheide, wie sage ich meinem alten Ich, dass es zwar schön mit ihm war, aber dass es besser ist, wenn wir in nächster Zeit auf Abstand gehen, uns trennen und nur noch gute Freunde bleiben?
Eine schwierige Entscheidung. Mir schwirrt der Kopf von dem ganzen Nachdenken über mich selbst. Erstmal ist es wohl das Beste, dass ich noch ein wenig warte, ein paar Zeilen schreibe und beobachte, wie sich die Beziehung zwischen mir und meinem Ich weiter entwickelt. Aber vorher checken wir noch kurz unsere Mails.