Fünf Minuten

„Fünf Minuten“ ist eine neue Reihe auf matysplanet.com, die ganz einfach funktioniert. Ich setze mich irgendwohin, stelle den Timer meiner Uhr auf fünf Minuten und schreibe drauf los. Wenn der Timer klingelt, höre ich wieder auf, mache ein Footsie und widme mich wieder anderen Dingen.  

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Eine Bank im englischen Garten am 1. September 2016 um 9:22 Uhr
Sitze im Englischen Garten vor dem Kleinhesseloher See. Nach drei Wochen Meer und Weite und Essen und Trinken und so gut wie Nichtstun genau das Richtige jetzt. Willkommen im Alltag, aber noch nicht so ganz. Noch nicht voll. Noch nehmen die Nachbarn die Pakete in Empfang und das Festnetz verharrt in Stille.
Rechts von mir sitzt ein Mann in Anzug und Krawatte, der über ein Headset telefoniert. Home Office neu gedacht.
Ob er die Sirene des Krankenwagens vernimmt? Und die joggenden Menschen sieht, die an ihm vorbeilaufen?
Manche von ihnen sind viel zu schnell unterwegs. Gerade in der früh sollte man auf die Bremse treten, um sich noch ein wenig Sprit für den Abend zu bewahren.
„Macht langsam“ will ich ihnen hinterher rufen, aber schon sind sie weg und würden mich wahrscheinlich eh nicht hören. Weil ich viel zu leise rufen würde, um mir ein wenig Stimme und Stimmung für den Abend zu bewahren. Noch ein wenig Urlaub für daheim.
Eine Frau auf der Bank neben dem Geschäftsmann lässt die Sonne auf sich scheinen, hält die Augen geschlossen und scheint zu meditieren.
Jetzt schnäuzt sie sich die Nase und lässt den Rotz im Flow ihres Geistes fließen, bevor ein tätowierter Parkbewohner sie nach etwas fragt. Sie schüttelt den Kopf.
Der Parkbewohnter geht zum Geschäftsmann und fragt erneut. Der schüttelt den Kopf. Dann läuft der Parkbewohner zu mir, er läuft tatsächlich, aber nicht so schnell, dass man ihm etwas hinterher rufen müsste.
Kurz erhasche ich ein paar verschwommene Blicke auf die Tattoos um seinen Hals, die ich nicht weiter charakterisieren kann, bevor ich erfahre, was er will. Ich schüttle den Kopf und sage „sorry“. Im Hintergrund kreischen Krähen.

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Tustica in Kroatien am 26.August 2016 um 10:54
Lese Die geheime Geschichte von Donna Tartt. Kaum zu glauben, das sie den grandiosen Distelfink geschrieben hat, wo dieser Roman mich irgendwie komplett kalt lässt. Viel interessanter erscheint mir der Traum meiner Frau von letzter Nacht.
Eine dicke Katze mit zwei Köpfen auf dem Balkon. Einen Moment später ist der Balkon in der Mitte geteilt und durch ein Geländer getrennt. Aus der Katze sind zwei geworden. Aus den Köpfen vier. Zwei davon sind lebendig. Zwei davon sind tot. Während meine Frau meint, dass das durchaus positiv zu deuten ist, denn auch wenn die zwei Köpfe leblos sind, können die Katzen von nun an ein eigenständiges Leben führen, sehe ich die andere Seite der Medaille.
Durch die Trennung ist ein Teil von ihnen gestorben und unwiederbringlich verloren. So ist irgendwie auch jeder Moment, den wir durchleben. In jedem steckt ein wenig Freude und ein wenig Trauer.
Neben mir schläft ein Baby und weiß noch nicht, dass es so ist. Und ich werde versuchen, ihr dieses offene Geheimnis so lang wie möglich zu verheimlichen. Das große kleine Mädchen hingegen ahnt schon ein wenig davon. Es hat Hunger und ruft nach ihrer Mama. Dadurch weckt sie das Baby und der Vater wird wütend, weil seine Schreibzeit zu Ende ist, bevor sie zu Ende war. Vor ihm das Meer wie immer. Und ein frisch verliebtes Paar. Er spiegeltreflext sie, wie sie auf einem Stein posiert, während hinter ihr ein Mann mit Maske und Schnorchel aus dem Wasser taucht, zurück von seiner Suche nach dem Nichts.

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Am Strand von Diklo in Zadar am 20.8. um 17:28 Uhr
Fünf hundert tausend für eine Wohnung in München, da würde sogar Messi ins schwitzen kommen, sagt Marko, ein Strandbekannter meiner Eltern. Mir reichen schon die 30 Grad im Schatten.
Eine Einheimische weist meine Mama auf Englisch zu recht, sie solle ihre Kippenstummel doch in den Müll tragen. Put your trash away, lady, oder so.
Meine Mama erwidert ihr auf kroatisch, dass es nicht ihre Stummel sind, die da zwischen den Steinen liegen und sie solle sich doch um ihr eigenes Business kümmern. Die Tönung ihrer roten Haarpracht for exempel.
Mein Gesicht reflektiert sich im Display des klugen Telefons und ich denke an die Französischlehrerin, die damals in der Raucherecke von mir forderte, dass ich den Boden säubere. Und ich meinte, okay, aber nur wenn sie damit beginne. Wer frei von Sünde ist, hebe die erste Zigarette und so. Am Ende tat keiner von uns etwas.
Meine große Tochter steigt aus dem Meer, weil ein großer Mann das Wasser schlägt und unangenehme Wellen verursacht, sagt sie. Neptun, denke ich und frage warum.
Sie findet keine Antwort darauf, woraufhin sie mit ihren Lippen gegen den Bauch ihrer kleinen Schwester blubbert, was eine lesewütige Frau mit dicken Brillengläsern so erschreckt, dass sie ihre Lektüre unterbricht und in unsere Richtung blickt. Scheinbar kann die auch nicht so gut ihr eigenes Business minden. In der Ferne hängen Menschen an Fallschirmen, schwebend über dem Horizont, gezogen von Motorbooten, womöglich zum Leidwesen des Meeresgottes, aber was weiß ich schon.

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In der Nähe von Sukosan an der kroatischen Küste am 16.8. um 11.49 Uhr
Sitze im Klappstuhl, den meine Tante unserer großen Tochter geschenkt hat. Und den ich jetzt für mich beanspruche. Er hält ein Gewicht von bis zu 100 Kilo aus, bin locker drunter. Noch.
Die Sonne sonnt mich, die Grillen grillen sich in den Pinien hinter mir. Und zirpen unaufhörlich. Vor mir schlagen die Wellen rhythmisch gegen die scharfen Steine des Strandes, die sinnbildlich für die Einheimischen hier stehen. Kantig, träge, warm. Wer sanften Sand will ist woanders besser dran.
Eine asiatische Touristenfamilie fotografiert sich mit Smartphones vor den Inseln, die Gregor und Hannes heißen, weil ich es nicht besser weiß im Moment. Und es gerade auch egal ist.
Die Kinder sind bei der Oma, meine Frau und ich wissen gar nicht, wohin mit der kleinen Freiheit. Vielleicht kurz ins Meer, kurz ins Cafe, bisschen lesen, ein wenig schlafen, sonnen. Fünf Minuten schreiben.
Die japanische, koreanische oder taiwanesische Großmutter wäscht ihre Hände in Salzwasser. Dann riecht sie an den Fingerspitzen und verzieht das Gesicht. Sie sieht, dass ich sie sehe, der europäische Tourist. Spanisch, kroatisch oder griechisch, denkt sie. Wir lachen uns an, weil wir kurz die Gleichheit unserer Gedanken erkennen, während meine Frau sich dem erfrischenden Nass nähert. Zaghaft tapsend, langsam vorwärts schreitend, jeden Tritt aufs Neue bedenkend, damit die Steine sie nicht schneiden und die Stacheln der Seeigel unterm Meerspiegel dort bleiben, wo sie besser hingehören.

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In einem Liegestuhl auf dem Tollwood im Olympiapark am 8.7.16 um 16.17 Uhr
„Weißt du, was ich meine?“, sagt die blonde Mädchenfrau vor mir zu ihrer brünetten Freundin und zieht an der selbstgedrehten Kippe.
„Ich bin niemand, der sich einschüchtern lässt. Ich mach einfach mein eigenes Ding und wem es gefällt, gefällt es. Und wem es nicht gefällt, dem …“
Nicht dass der Wind alles verweht, denkt sich wahrscheinlich der Sand-Skulpturen-Künstler, der vor mir und den Mädchenfrauen Sand abschürft, um das, was für ihn schon immer da war, auch denen, die es nicht sehen, zu offenbaren. Uns.
Beim Schreiben ist das ja genau andersherum, denke ich. Da ist erstmal nichts und nur Leere und dann hinterlässt man was, das dem ein oder anderen etwas offenbart. Oder auch nicht.
Wobei manchmal ist da auch ein gewaltiges Chaos im Kopf. Tausend Gedanken streiten um die Vorherrschaft und dann muss man wie der Skulpturen-Künstler, ob für Sand oder nicht, alle unnützen Gedanken ab und weg und hinfort schürfen, um lediglich die Gedanken und Worte zu lassen, die für den Moment Sinn ergeben.
„Ich weiß genau, was du meinst, sagt die brünette Mädchenfrau zu ihrer blonden Freundin.
Seitlich von uns setzt eine am linken Arm tätowierte Mutti ihrem Sohn die Mütze auf. Damit sich der Sonnenbrand nicht offenbart. Japanische Touristen fotografieren das Ganze. Wobei es auch Touristen aus Taiwan sein könnten, die filmen.

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Auf einer Parkbank in der Nähe der Brudermühlbrücke am 28.6.16 um 17:15 Uhr
Gerade aus einem anstrengenden Meeting raus und eine Runde geradelt. Verfluchte Reklame. Ich würde sie so gerne nicht machen, aber wie kümmere ich mich dann um meine Familie. Ich kann nichts anderes außer Schreiben. Und manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass ich nicht mal das richtig kann.
Versuche seit Monaten eine Terrasse im Garten zu bauen – vergeblich. Gut, es hat auch seit Tagen und Wochen geregnet, aber es hat auch Tage und Wochen gegeben, an und in denen es nicht geregnet hat.
Während dieser Tage und Wochen bin ich wie einer dieser Bauarbeiter gewesen, die die Arme an die Hüften legen und zuschauen, was die anderen Bauarbeiter so machen. Ich schaue gerne anderen bei der Arbeit zu. Nur, dass keine anderen Bauarbeiter da waren, denen ich zuschauen konnte und die unsere Terrasse fertig stellten. Oder die Geschichte. Oder die Broschüre. Den Roman, das Drehbuch, das was auch immer verdammt.
Ich stocke und schaue auf. Ein Hund kläfft ein Mädchen an, das Mädchen kläfft zurück. Carlos geht es gut, vernehme ich. Na, wenigstens etwas. Wenigstens einer. Carlos. Der hat bestimmt seine Terrasse fertig gebaut. Alleine schon der Name strotzt vor Entschlossenheit, während ich wie ein Tee heiße, der nach Tabak schmeckt und zum In-Getränk mutiert ist, wobei wir wieder am Anfang wären.

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Auf einer Parkbank in Harthof am 21.06.16 um 13:58 Uhr
Eine grau melierte Frau schiebt sich mit ihrem Rollator an mir vorbei. In der Ablage vor ihr steht eine Sauerstoffflasche bereit. Inklusive Schlauch und Mundmaske. Und schon ist sie vorbei.
Um mich herum singen Vögel in Stereo. Und die Mücken sorgen für das 3D-Erlebnis. Die Sonne legt einen Gang zu und durchbricht die Wolken, die ihr die Sicht auf mich versperren. Sie wärmt mir die Arme, Hände, das Gesicht. Meine Gedanken.
Irgendetwas kriecht an mir herum. Eine Ameise mit Rollator?
Ein in die Jahre gekommener Jogger hinterlässt ein gleichmäßiges Geräusch seiner Spuren im Kies.
Neue Wolken schieben sich vor die alte Sonne und verdunkeln erneut die Welt.
Das Rauschen des Windes durch die Blätter der Bäume verdeutlicht die unaufhaltsame Verwehung von allem.
In der Ferne, aber auch nicht ganz so fern, Autos, Bagger und Rasenmäher. Gehen ihren Gang. Jemand fährt rückwärts, um kurz darauf wieder vorwärts zu preschen. Bis die Wand kommt, hinter der es nicht mehr weiter geht.
Ich denke an diesen jungen Schauspieler, der von seinem eigenen Auto überfahren wurde. Tot. Einfach so. So dramatisch wie dämlich irgendwie. Aber dann auch wieder: warum nicht so. Der Tod ist der Tod ist der Tod.
Die Ameise auf meinem Arm bemerkt nicht, dass sie sich auf dünnem Haar bewegt. Doch heute habe ich meine Handbremse gezogen und sie überlebt. Für den Moment.

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Unterm Olympiadach am Olympiastadion im Olympiapark am 9.6.16 um 10.44 Uhr
Habe mich vom Regen retten können und sitze unterm Olympiadach ganz in der Nähe des Olympiastadions. Auf der einzigen Bank unterm Dach, die anderen sechs sind neben dem Dach. Was haben sich die Architekten dabei wohl gedacht?
„Wenn es regnet, sollen die Leute unters Dach. Wenn sie aber sitzen wollen, sollen sie neben das Dach. In den Regen. Unterm Dach wird nur gestanden. Außer auf der einen Bank. Da können die Menschen machen, was sie wollen.“ Schreiben zum Beispiel.
Das Plätschern der Regentropfen erinnert mich an die Wasserfälle Krka in Kroatien und an die Cenoten in Mexiko. Nur, dass an beiden Orten die Sonne schien, als ich dort war, während jetzt hier der Regen regnet, als ich da bin. Und der Rabe rabt. Gut, kräht. Aber irgendwie fände ich rabt stimmiger.
Im Hintergrund der Georg-Brauchle-Ring. Autos autoen. Jogger joggen angstfrei an mir vorbei, während ich gefangen und frei zugleich ein paar Tropfen von der Seite abbekomme und akzeptiere, dass es genauso ist, wie es gerade ist. Dann denke ich an das Lied von Clueso

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Am Ufer des Langwieder Sees am 22.05.16 um 13.33 Uhr
Sitze gerade am Ufer des Langwieder Sees und beobachten Menschen, die versuchen, ins Wasser zu gehen. Draußen ist es sehr heißt, drinnen sehr kalt. Der Perfekte Kontrast für ein wenig Spannung.
Die meisten gehen knietief rein, trauen sich aber nicht weiter. Sie geben Schmerzlaute von sich. „Ah“, „Oh“, „Mein Gott“ und so.
„Das ist mir zu kalt“, sagt ein durchtrainierter Alphamann und geht wieder raus. Auf seinem rechten Schulterblatt ist ein Löwe tätowiert, gerade verhält er sich aber eher wie ein Kätzchen.
„Schau, das Kind ist ganz im Wasser“, sagt seine Freundin, doch er winkt ab.
„Kinder und Senioren zählen nicht. Die haben irgendwelche Superkräfte. Denen macht die Kälte nichts“,sagt er und ich denke über diese interessante Ansicht nach.
Dann möchte ich herausfinden, ob ich nun Kätzchen oder Löwe bin.
„Wenn man mal drin ist, geht´s“, sagt eine Frau zu mir, die gerade raus kommt.
„Ja, aber bis man mal drin ist, dauert´s“, erwidere ich. Und irgendwie gilt das ja für alles. Geburt, Kindheit, Pubertät, Studium, Arbeit, Ehe, Kinder, Rente, Tod. Hinzuzufügen wäre: Kaum bist du drinnen, bist du auch schon wieder draußen.
Auf dem Spielplatz hinter meinem Rücken, stillt meine Frau ein Baby, während die große Tochter „Alle mir nach“ ruft.

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McDonalds gegenüber des OEZ in München am 17.4.16 um 10.48 Uhr
Sitze in der Kinderecke des McDonalds. Da ist ein Kletterkasten, den meine Tochter liebt. Damit ist sie nicht allein. Hier hab ich immer kurz Ruhe, um zu schreiben. Fünf Minuten, wenn es gut.
Doch gerade nicht. Meine Kleine, die jetzt meine Große ist, weil ich ja jetzt ne neue Kleine habe, liefert sich gerade eine heftige Diskussion mit einem arabischen Jungen (vermute ich, weil der Vater ständig „Yalla, Yalla“ ruft).
Der Junge will zwar nicht ihr Smartphone, aber sie nicht rutschen lassen.
Er schreit nein. Nein. Sie schreit. Doch. Doch. Wieder und wieder. In dreizehn, vierzehn Jahren sieht das womöglich umgekehrt aus. Und ich werde dann nicht da sein, um einzuschreiten, falls nötig. In meiner Vorstellung sitzt Papa Mate unter der Discokugel mit Notizbuch und Stift bewaffnet, während meine Tochter auf der Tanzfläche tanzt. Wenn sie Durst hat, reiche ich ihr den Cocktail trinkbereit mit dem Strohhalm in ihre Richtung zeigend. Die Lippen fahre ich ihr mit dem Lippenstift nach, wenn er verwischt und summe dabei wie ein Serienkiller „Es tanzt ein Biba Butzemann“ vor mich her – das aktuelle Lieblingslied meiner Klei..Großen.
Auf meinem linken Schuh findet sich Ketchup. Erinnerungsflecken von den paar Augenblicken zuvor: meine Tochter sitzt auf dem Kinderstuhl und schmeißt ihre Pommes auf meine Füße. Dann trinkt sie ihr seelenruhig ihr Wasser und beobachtet aufmerksam, wie der arabische Junge und ein griechischer Junge (vermute ich, weil seine Mama einmal „Kalimero“ sagt) verträumt auf sie blicken. Das wird ja heiter in Zukunft, denke ich, während ich aus den Augenwinkeln Jugendliche in der Erwachsenenecke Phase 10 spielen sehe. Natürlich auch eine Möglichkeit, die Pubertät zu überbrücken.

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Pumucklspielplatz im Luitpoldpark in München am 10.4.16 um 13.03 Uhr
Der komische Vater von letzter Woche ist wieder auf dem Spielplatz. Er springt Seil, starrt auf sein iPad und lässt seine Tochter vorbildlich mit einem Messer in der Hand die große Rutsche hinauf klettern.
Plötzlich scheint er die Gefahr zu begreifen und schreit, „Das ist kein Spielzeug, das ist ein Werkzeug. Lass es sofort fallen.“ Sie tut es und das Messer landet im Sand. Neben einer Giraffe aus Plastik.
Ein Junge Namens Till weigert sich mit seinem Bruder nach Hause zu gehen, weil dieser ihn nicht nett darum gebeten hat. Das erinnert mich an die Szene in Pulp Fiction, in der Mr.Wolf den beiden Killern Vincent und Jules befiehlt, das blutüberströmte Auto zu säubern. Und Vincent nach einem „Bitte“ verlangt.
„Bitte, bitte, bitte, mit Zucker oben drauf. Beweg deinen verdammten Arsch jetzt nach Hause.“
Die Sonne wirft den Schatten meines Füllers aufs Papier, meine Brille rutscht von der Nase, ich spüre immer noch das Bier von gestern im Blut.
Habe die Geburt meiner zweiten Tochter begoßen. Auf dem Nachhauseweg habe ich mich übergeben. Am Frankfurter Ring hinter den Altglascontainern habe ich dem Erbrechen nachgeholfen. Mit meinem rechten Zeigefinger. Fühlte mich kurz wie ein Model. Ein kleines dickes haariges kroatisches. Das wär eine Show. Germanys Next Top Croat. Statt Catwalks werden kroatische Schlager gesungen. Und statt einem Bild von Heidi gibt es Cevapcici von meiner Mama.
Gedanken meines Katers, unterbrochen von dem Wunsch meiner großen Tochter, auch ein Messer haben zu wollen. Vielleicht kaufe ich ihr eins, überlege ich. Aber nur, wenn sie mich nett darum bittet. Bitte, bitte, bitte. Mit Zucker oben drauf.

Aus der Reihe “Fünf Minuten”. Weitere Beiträge findest du hier

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Spielplatz am Olympiaberg in München am 5.4.16 um 12.36 Uhr
Petuelpark, Olympiapark, Supermarkt, Zuhause. Das ist aktuell mein Bewegungsradius. Es gibt geringere. Und schlechtere.
Ein leichter Wind zerzaust meine ungewaschenen Haare, muss dringend zum Frisör.
Aus der Ferne höre ich das Rauschen von Autos. Erinnert mich ans Meer.
In den Bäumen tirilieren Vögel lieblich vor sich her. Tirilieren hab ich aus dem Kinderliederbuch, das ich meiner großen Tochter jeden Tag vorsinge.
Der Spielplatz ähnelt einer verlassenen Westernstadt.
Lediglich ein französisches Paar mit kleinem Jungen und Baby im Bauch der Frau hat sich hierher verirrt.
Keine Ahnung, was sie sprechen. Außer „Frere Jaques, dormez vors?“, kann ich kein Französisch. Schwer vorstellbar, dass der Junge „Jaques“ heißt und schlafen tut er auch nicht. Eine Konversation ist nischt möglich, mon dieu.
Verstehe wieder und wieder nur „No, No, No!“ Das Wort, das man seinem Nachwuchs am intensivsten ins Hirn tiriliert.
Der Vater trägt ein T-Shirt, auf dem steht: „Santa ist not real“.
Für einen kurzen Moment möchte ich zu ihm hingegen und fragen, ob er das ernst meint, also: really? Aber einerseits kann ich, wie erwähnt, kein Französisch und andererseits ahne ich bereits seine Antwort.
Drumherum verzieren rosa Zierkirschenblüten das sonst trübe Panorama.
Am Himmel ein Flugzeug und das Krächzen eines unmusikalischen Vogels, dessen Namen ich nie gelernt habe. „No“ heißt er wohl nicht.

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Am Karussel im Luitpoldpark in München am 3.4.2016 um 18.37 Uhr 
Wache gerade aus einem klitzekleinen Nickerchen auf. Liege auf der Decke, meine Tochter spielt im Sand. Das Karussell wegen dem wir hier sind, interessiert sie genauso wie Spinat. „Das ist kein gutes Karussell“, hat sie vorher gesagt. Und,“Ich will zum anderen.“
So ist das Leben. Man probiert ein Karussell und setzt sich in den Kopf, dass es das jetzt ist. Dann lässt man es für einen Augenblick aus den Augen, weil man zum Mittagsschlaf muss, und schwups, ehe man sich versieht, ist es besetzt von jemand anderem. Und der hört nicht auf zu drehen. Man senkt den Kopf, probiert es mit einem anderen Karussell, aber es ist einfach nicht dasselbe. Es ist kein gutes Karussell mehr.
Was bleibt ist die Erinnerung, die Körner im Sand, die Schaukel daneben und die Hoffnung dass man eines Tages ein neues Karussell entdeckt, mit dem man sich gerne für immer im Kreis drehen möchte. Keine Ahnung, ob das alles jetzt Sinn macht, aber nach dem Aufwachen sind die Gedanken wie sie sind. Im Hintergrund höre ich Klänge von Ping Pong.

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Pumucklspielplatz im Luitpoldpark in München am 2.04.2016 um 13.33 Uhr 
Sitze auf der Bank. Blicke auf den Hügel, den ich gestern bestiegen und von dem ich gestern herunter geblickt habe. Heute blickt jemand von dort oben auf mich herab.
Neben mir liegt eine fast leere Pizzaschachtel. Unser Mittagessen. Vor mir wippen zwei alte Menschen rauf und runter. Ihr Enkel schaut ihnen zu. Ein leichter Schimmer Stolz umspielt seine Augen.
Daneben wippen Bruder und Schwester. Plötzlich steigt er ab ohne ihr Bescheid zu geben, sie stampft zur Mutter, zur Bank links von mir.
„Mit dem spiele ich nie wieder“, verkündet sie. Tss. Immer diese endgültigen Aussagen, und später überlegt man es sich doch wieder anders.
Auf der Bank gegenüber versammeln sich Vater, Mutter, Kind. Er hält einen Basketball umklammert, während in ihren Händen das Baby jammert.
Aus den Augenwinkeln blicke ich auf meine Tochter. Obwohl sie dafür zu klein ist, will sie auf einen Baum klettern, weil ein Mädchen, dass groß genug ist, ihr vormacht, dass es geht. Ein richtiges Vorbild. Für einen Moment. Und im nächsten schon nicht mehr.
Als meine Frau unserer Tochter helfen will, sagt das Mädchen zu ihr:
„Wenn deine Mama dir hilft, ist das unfair. Ich bin da ohne Hilfe hoch geklettert und ich komme ohne Hilfe da wieder runter.“
Arschlochkind. Ihr Satz ein Spiegel unserer Gesellschaft.
Der Vater sitzt auf der Bank rechts von mir. Auf seinem Schoß ein iPad, in seiner Hand ein iPhone, im Ohr Kopfhörer, Anzugsschuhe zur Jogginghose. Mit dem spielt wohl auch schon lange keiner mehr, denke ich und verputze das letzte Stück Pizza.

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Luitpoldberg in München am 1.April um 12.52 Uhr 
„Dieser Berg entstand aus den Trümmern der im zweiten Weltkrieg zerstörten Münchner Häuser“, verkündet die Tafel des Luitpoldbergs. Also Hügels, weil siehe gestern. Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen erklimme ich einen Gipfel, aber diesmal wartet kein Sonnenschein. Das Wetter ist schlechter als den Tag zuvor, der Tag deswegen aber nicht unbedingt schlechter.
Das eiserne Kreuz vor mir mahnt, an all jene unter den Bergen von Trümmern zu denken und für sie zu beten. Ich lebe, atme und verfasse diese Zeilen. Heute geht mir kein Reim auf den Leim.
Ein Hund ohne Herrchen oder Frauchen huscht an mir vorbei und saust zu den Gedenkkerzen, die unter dem Kreuz in aller Seelenruhe verharren. Ohne zu brennen. Kurz hebt er sein Bein, überlegt es sich aber im nächsten Moment anders. Ein anständiger Hund und wohl wohl erzogen, denke ich und dann an die alte Frau im Park, die ihren Hund in einem Kinderwagen spazieren fährt. Ob sie ihn auch nachher an die Brust nimmt? Und was, wenn er beißt? Es gibt Wundcreme in der Apotheke. Und wenn er schläft, kann sie ja abpumpen mit Handpumpen. Da ist er. Der Reim, der vorher schon da war. Etwas pikst mich. Ich sitze unter einem Haufen Ameisen, die in mich hineinkriechen. Und das ist kein Aprilscherz.

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Olympiaberg in München am 31.03.2016 um 12.48 Uh
„Einfach mal ´nen Berg erklimmen und sich als Zwerg erhaben stimmen“, denke ich, als ich den Olympiahügel, Berg kann man es schwer nennen, was ich vor mir sehe, herauf steige.
Oben angekommen bin ich einer von vielen, die mehr oder weniger von ihren Körpern bräunen, weil ein schöner Teint einfach zeitlos im Trend bleibt.
Der Ausblick ist ein Genuss. Man sieht sogar die Alpen. Etwas diesig, aber da.
Kinder erteilen mit schrillen Stimmen Befehle, die Erwachsenen hadern, leiden oder chillen im Stillen. So wie ich.
Die Sonne scheint, die Vögel singen, Hundehaufen erblühen parkaus, parkein und versprühen ihren herrlichen Duft.Frühling, dich hab ich vernommen, du und deine Pollen, ihr macht mich ganz benommen. Ein Mann schnieft den Rotz in seiner Nase hoch und trinkt einen Schluck Wasser. Das ist wichtig.

 

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