Die Abenteuer des Mental Man

Mental_Man

Jeder Mensch hat eine besondere Gabe, nur bei manchen kommt nicht einmal der Spürhund drauf. Seit Geburt bin ich auf der Suche nach meiner, so ganz ohne Spürhund. Neulich im Einkaufszentrum bin ich endlich auf sie gestoßen.

Als ich an der Theke eines Obstladens einen frischen Fruchtsaft bestellen wollte, passierte es. Noch bevor ich dem Saftkeeper Mango Kiwi Orange sagte, wusste er bereits, dass ich Mango Kiwi Orange sagen wollte und reichte mir den gewünschten Saft.

Wahnsinn. Ich kann meine Gedanken in die Köpfe anderer Menschen übertragen, dachte ich, und versuchte es gleich zum ersten Mal bewusst.

„Noch einen Wunsch?“, fragte der Saftkeeper.
„Sag du es mir“, entgegnete ich.
Dabei verkleinerte ich meine Augen, spitzte die Lippen und dachte an Erdbeer Papaya. Beim ersten Mal wollte ich mir besonders Mühe geben.

Scheinbar war das WLAN meiner Gedanken bei Kabel Deutschland unter Vertrag. Denn genau in diesem Moment verweigerte es seinen Dienst. Der junge Mann blickte verwirrt und meinte, es tue ihm sehr leid, aber er hätte schon eine Freundin. Ich solle jetzt bitte gehen.

Nun gut. Auch Spiderman hatte am Anfang Schwierigkeiten, Netze ohne Löcher zu spinnen. Superman flog als kleiner Junge gegen Strommasten. Und Schulkameraden vom unglaublichen Hulk behaupten noch heute, dass er als Jugendlicher öfter rot statt grün wurde.

Es ist ja so. Jeder Superheld muss zunächst lernen, seine Superkraft auch richtig einzusetzen, bevor er sie gegen das Böse einsetzen kann. Und ich lerne.

Meine Nachbarn grüße ich seit Tagen telepathisch, der Katze vermittle ich lediglich mit einem Blick, dass ich sie nicht streicheln möchte und beim Metzger bestelle ich die Wurst ab sofort auch nur noch mental.

Mit Erfolg. Alles klappt perfekt. Also alles, außer die Bestellung beim Metzger. Da muss ich nach wie vor laut aussprechen, dass ich 100 Gramm von der Groben will, damit ich die auch bekomme.

Zugegeben, auch die Katze lässt sich nicht beirren und legt sich weiter auf meinen Schoß. Und ich streichle sie, ohne das sie merkt, dass ich sie in Gedanken verfluche.

Und auch die Nachbarn beschweren sich neuerdings.
„Herr Tabula, haben sie etwas gegen uns?“
„Wie kommen Sie darauf?“
„Sie grüßen nicht mehr.“
„Aber empfangen Sie nicht meine Gedanken?“
„Nein, wir empfangen nichts.“
„Sehen Sie, es funktioniert.“

Denn ich bin Mental Man. Meine Gedanken sind meine Gabe. Und meine Gabe setze ich ein, die trüben Gedanken aus der Menschen Hirne zu verbannen.

In Zukunft wird jeder bei Niedergeschlagenheit und Depression meinen Namen nennen. Vergesst Antidepressiva, Schusswaffen oder Schokolade, bald heißt es nur noch:
„Oh Gott, ich fühl mich so deprimiert und niedergeschlagen.“
„Aha! Das ist eindeutig ein Fall für Mental Man.“

Am Himmel projiziert der Polizeichef mit einem speziellen Scheinwerfer eine leere Gedankenblase. Und ta da – flugs komme ich mit den Öffentlichen herbei gefahren. Also flugs ist jetzt übertrieben, aber ich komme.

Plötzlich denkt niemand mehr schwarz, sondern nur noch an Picknick im Park. Alle Emos werden gut drauf. Alle Nazis feiern Migranten und rufen, „Flüchtlinge rein, wir harzen zusammen.“

Alle Politiker erzählen keinen Unsinn mehr, weil ihre Gedanken, also meine Gedanken keinen Unsinn mehr zulassen. Zumindest keinen, den sie selbst als Sinn wahrnehmen.

Meine Frau unterstützt mich auf meiner Mission. Sie hat auch eine einzigartige Gabe. Sie ist Dementia Woman. Oft vergisst sie, wo sie Dinge hintut und fragt mich immer Sachen wie „Liebster, wo ist mein Lockenwickler? Liebster, wo ist mein Rasierer? Liebster, wo ist mein Lippenstift?“

In Gedanken antworte ich, dass ich die Antworten auf diese Fragen auf gerne präziser wüsste. Dann könnte ich nämlich mit ihrem Lockenwickler, dem Rasierer und Lippenstift eine Riesensuperheldenfete im Bad veranstalten. Woo hoo.

„Du Arsch. Immer deckst du in deinen Geschichten meine Schwächen auf.“
„Aber Liebste, Das ist keine Schwäche, das ist eine Superkraft. Und gemeinsam verändern wir die Welt.“

Stellt euch nur mal vor, Dementia Woman findet alle Waffen dieser Welt, während sie eigentlich ihren Lockenwickler sucht und versteckt sie irgendwo, wo sie niemand mehr finden kann. Nicht mal sie selbst.

Wenn CIA, Mossad oder der IS fragen, wo sie die Waffen versteckt hat, ist sie fein raus. Alles was sie zu sagen braucht, ist die Wahrheit.

„Dementia Woman, wo sind die Atomsprengköpfe?“
„Das wüsste ich auch gerne. Und auch, wo mein verdammter Lockenwickler geblieben ist.“

Falls die fiesen Schurken sie foltern wollen, tritt Mental Man auf den Plan. Mit einem Lockenwickler im Haar sendet er Gedanken des Guten und befreit seine Frau von den Bösen.

„Ähm, was wollten wir nochmal?
„Ah, Picknick im Park“
„Ja, und Erdbeer Papaya.“
„Guck mal, eine Biene.“
„Ich glaub, ich mach ein Nickerchen.“

Die Wach Gebliebenen gehen mit uns in den Garten und spielen Verstecken mit unserer Tochter. Klar, dass das Kind zweier Superhelden auch eine besondere Gabe hat. Die Kleine kann sich unsichtbar machen, indem sie sich ihre Hände vor die Augen hält. Keine Ahnung, was man damit alles anstellen kann, aber sie ist noch jung und wird es schon noch raus finden. Denn sie ist Invisible Girl.

Für alle, die jetzt denken, „Mensch, ich will auch meine Gabe finden, aber wo kriege ich jetzt nur einen anständigen Spürhund her?“ hat Mental Man folgenden Ratschlag für euch: „Wenn ihr aufhört, etwas Besonderes werden zu wollen, könnt ihr anfangen das zu sein, was ihr wirklich seid. Und das ist schon besonders genug.“

Epilog – in der Verfilmung nach dem Abspann
Wir sehen Mental Man und Dementia Woman beim Ultraschall. Sie erwarten ein zweites Kind. Der Junge legt im Mutterbauch bereits seine Beine in den Schneidersitz. Sie entscheiden sich, ihn Buddha Boy zu nennen. Seine Gabe wird seine Gemütlichkeit. Immer wenn Menschen in seine Nähe kommen, werden sie ultraentspannt und finden zum inneren Frieden. Außer er schreit. Woo hoo.