Der Mann mit dem HKNKRZ-SHIRT oder # Wir sind gleich

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Letztes Wochenende war ich mit meiner Familie im Stadtpark von Ansbach spazieren. Dort begegnete ich einem Mann, der ein schwarzes T-Shirt trug mit den Buchstaben „HKNKRZ“ drauf. Ausgesprochen „Hakenkreuz“.

Der Mann trug das Hakenkreuz-Shirt wie sein Sohn das Trikot von Christiano Ronaldo trug, seine kleine Tochter ihre roten Nikes. Wie selbstverständlich stolzierte er darin über den Spielplatz – so als ob nichts dabei sei, das Symbol eines der grauenhaftesten Verbrechen der Menschlichkeit Spalier zu tragen.

Ich war sehr verstört, denn so nah bin ich einem Nazi, der so offensichtlich sein Nazitum zur Schau stellt, noch nie begegnet. Wie reagiert man darauf? Gehe ich zu ihm hin, stelle ihn zur Rede, sage, was der braune Scheiß solle und frage, ob er auch Shirts in Demokratisch habe?

Während ich überlegte, wollte seine kleine Tochter, die zuvor mit meiner kleinen Tochter im Sand gespielt hat, dass er sie schaukelt. Ganz hoch und weit, Papa, so dass es ihm Bauchi kitzelt, sagte sie. Und er sagte, Ja, mein Schatz, dass mache ich. Ein Gespräch, das so auch zwischen mir und meiner Tochter abläuft.

Wahrscheinlich sind sich ein Nazi und ich gar nicht so unähnlich, dachte ich in diesem Moment. Ja, vielleicht sind wir alle auf die ein oder andere Art Nazis. Wir alle bevorzugen gern eine soziale Gruppe gegenüber einer anderen. Ich zum Beispiel mag lieber Fleischesser statt Veganer, mag lieber Menschen, die Breaking Bad als die beste Serie aller Zeiten betrachten und nicht Gute Zeiten, schlechte Zeiten.

Wenn ich ehrlich bin, mag ich mich am liebsten von allen, dann kommt meine Frau, dann meine zwei Töchter, meine Eltern, mein Bruder, seine kleine Tochter und die Frau von meinem Bruder, nun, die taucht in meinen Beliebtheitscharts eher weiter hinten auf.

Ja, es gibt Tanten und Onkel, die mir genetisch und rassetechnisch näher stehen als meine Freunde, trotzdem bevorzuge ich die gegenüber ihnen, u.a., weil sie Breaking Bad lieber mögen. Eine Cousine von mir in Kroatien schaut sich täglich türkische Telenovelas an. Damit kann ich mich so rein gar nicht identifizieren.

Mit meinen Nachbarn, die gleich nebenan wohnen verstehe ich mich viel besser als mit den Nachbarn gegenüber. Mit denen komme ich schon auch klar, aber wenn es jetzt hart auf hart kommt und beide Nachbarsfamilien vor ein Erschießungskommando gestellt werden, und es hieße vom Obersturmführer, ich müsse mich entscheiden: Welche Familie soll dran glauben, die von nebenan oder die von gegenüber?
Und ich müsse mich entscheiden, weil sonst meine Familie dran glauben werde, würde ich sagen: Grundsätzlich bin ich Pazifist, aber wenn das so ist, verschont bitte die Familie von nebenan.

Nichts für ungut Babs und Andy, ihr seid schon auch nett und so, aber in dem einen Jahr, in dem wir jetzt gegenüber wohnen, hättet ihr uns schon auf ein Bierchen einladen können. Stattdessen habt ihr einen Zaun errichtet. Heidi hingegen, die Nachbarin von nebenan, hat uns erst gestern die Hecke geschnitten und uns einen Apfelkuchen vorbeigebracht. Ich mag sie, obwohl sie Gute Zeiten, Schlechte Zeiten schaut.

Wir haben einfach die bessere Connection zueinander. Und auf die kommt es doch an. Deshalb verkehren Nazis auch lieber mit Nazis und Nichtnazis mit Nichtnazis. Das Problem dabei ist, dass sich so beide Gruppen voneinander abschotten und eine richtige Integration damit auf der Strecke bleibt.

Folgerichtig halte ich den #Wirsindmehr langfristig auch nicht für richtig, weil er diese Abgrenzung weiter vorantreibt. Stimmt, wir sind tatsächlich mehr, aber die werden nicht weniger. Laut aktueller Wahlumfrage sind die jetzt schon fast jeder fünfte von uns. Jeder fünfte von uns hier ist also ein potentieller HKNKRZ-Shirt-Träger, der sich vielleicht noch nicht traut, ungeniert das Shirt zu tragen, aber es vielleicht schon im Schrank hängen hat. Das macht mir Angst. Und wenn ich Angst habe, ziehe ich mich gerne zurück.

Doch noch gibt es keinen Grund dafür. Denn wir sind tatsächlich mehr. Das habe ich im Stadtpark von Ansbach gesehen. Da waren alle möglichen Nationen vertreten. Die türkische Familie neben der arabischen, eine russische Mutter wie auch ein kroatischer Vater. Am wenigsten waren da blauäugige, blonde reinrassige Deutsche mit HKNKRZ-Shirts zu sehen. Aber Hitler war auch nicht blond und blauäugig. Nur, wo der Hass regiert, werden Fakten hinfällig.

Und wir müssen das Nazi-Problem lösen, sonst löst es uns eines Tages. Deshalb müssen wir versuchen, eine Brücken zwischen denen und uns zu bauen, bevor der Graben dazwischen so groß wird, dass er nur noch durch Erschießungskommandos überwunden werden kann.

Es macht keinen Sinn, Nazis lediglich vor Augen zu führen, wie dumm sie eigentlich sind und sie öffentlich bloßzustellen. Keiner möchte öffentlich bloßgestellt werden, keiner möchte als dumm bezeichnet werden. Wenn mich jemand öffentlich bloßstellt oder als dumm bezeichnet, reagiere ich auf ihn mit Ablehnung und Konfrontation. Ich will erst mal nichts mehr mit ihm zu tun haben, egal wie nahe wir uns stehen.

Deshalb bin ich für Liebe statt Hass. Ich bin für Ankerzentren für Rechte, Nazihelfer mit Geschenkpaketen und Fahnen, auf denen steht: AFD-Wähler welcome.

In meiner Nachbarschaft bin ich noch keinem Nazi mit einem HKNKRZ-Shirt begegnet. Aber falls das passiert, hoffe ich, dass ich den Mut aufbringe, mit ihm in Kontakt zu treten statt mich von ihm zu entfernen, die Gemeinsamkeit zwischen uns zu sehen statt den Unterschied, und statt „Du hast da einen braunen Fleck auf der Brust“, einfach nur „Hallo“ zu sagen, ihm ein Stück Apfelkuchen anzubieten, und zu fragen, ob es für ihn manchmal auch so anstrengend sei, auf seine Kinder aufzupassen.

Wer weiß, durch Nähe, Wärme und persönliche Ansprache, durch Liebe statt Hass, schaffe ich es vielleicht, ihn auch davon zu überzeugen, dass wir alle gleich sind. Und das nächste Mal, wenn wir uns sehen, trägt er vielleicht nicht mehr ein Hakenkreuz auf seiner Brust, sondern das Shirt seiner Lieblingsserie: Breaking Bad.

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