Es war abzusehen, dass ich eines Tages im Keller landen würde. Wie ein Gegenstand, den man nicht mehr benutzt oder für den man keinen Platz mehr in der Wohnung findet. Einzig mit dem Unterschied, dass ich es so wollte.
Als unsere erste Tochter auf die Welt kam, räumten wir mein Büro und machten ein Kinderzimmer daraus. Den Schreibtisch stellte ich ins Schlafzimmer.
Als unsere zweite Tochter auf die Welt kam, machten wir aus dem Schreibtisch eine Wickelkommode.
Danach ging ich eine Weile in Cáfes und Büchereien, aber das ging nicht so gut, was hauptsächlich daran lag, dass auch andere Menschen dort waren, die mich ablenkten.
Deshalb sitze ich jetzt im Keller umgeben von Wasserrohren, Spinnweben und der ein oder anderen Assel.
Unser Keller ist von anderen Kellern durch Aluminiumgitter getrennt. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen, dass die einzelnen Räume Gefängniszellen seien.
Nur, dass darin keine Gefangenen zu finden sind, sondern unbenutzte Gegenstände, die verstauben. So gesehen sind die Gegenstände, die sich dort befinden auch gefangen, weil man sie nicht mehr nutzt für das, wozu sie mal vorgesehen waren.
Irgendwie habe ich mich auch zu ihnen gesellt, um nicht mehr benutzt zu werden und ein wenig zu verstauben, damit ich mich so halb vergessen ganz auf meine Gedanken konzentrieren kann – gefangen und doch frei – um vielleicht etwas zu hinterlassen, woran man sich später einmal erinnert – oder auch nicht, wer kann das schon mit Gewissheit sagen.
Ich glaube kaum, dass jemand kommen wird, um mich hier zu stören. Wenn ich im Keller sitze, sind alle anderen in der Arbeit, umgeben von Kollegen, Flurfunk und der ein oder anderen Topfpflanze.
Also alle, außer der japanische Nachbar, der schon in Rente ist und Hunk heißt. Nicht Hulk, nicht Hank, nicht Honk – Hunk!
Hunk summt immer fröhlich vor sich hin, wenn er im Keller nach etwas Gefangenem sucht, um es zu befreien. Das klingt ein wenig schräg, wenn man es so formuliert, in echt ist es aber noch viel schräger.
Wenn ältere Menschen seelenruhig vor sich hin summen, denke ich immer, sie führen was im Schilde. Sie sind unterwegs, um jemanden zu töten oder so. Wenn Hunk kommt, mache ich mich deshalb ganz leise und verharre auf der Kellercouch wie eine kleine Maus, wenn sie Katzenschnurren vernimmt, damit er nicht merkt, dass ich da bin und seinem Handeln lausche.
Damit Hunk mich nicht sehen, stören oder gar töten kann, während ich im Keller sitze, denke, lese und schreibe, habe ich um mich herum Gardinen aufgehängt.
Es sind Gardinen, die meine Frau von der Mutter ihres Ex-Freundes geschenkt bekommen hat. Schwer vorstellbar, dass Waltraud*, so der Name der Mutter ihres Ex-Freundes, sie ihr mit den Worten geschenkt hat: „Hier, meine Liebe, diese Gardinen sind für deinen zukünftigen Ehemann, damit er es sich im Keller mal richtig schön gemütlich machen kann.“
Wahrscheinlich hat sie lediglich, „Hier, Gardinen, häng auf“, gesagt. So oder so möchte ich ihr hier jetzt mal ein Denkmal setzen. Danke, Waltraud.
Sollte ich je den Durchbruch als Komiker oder Geschichtenerzähler schaffen, weil ich dank deiner Gardinen im Keller Ruhe, Muße und ein selbst genähtes Ambiente für meine Texte gefunden habe, bevor die Wasserleitungen über mir durchgebrochen sind, werde ich dich holde Stoffnäherin feste feiern.
Spätestens bei der Rede, die ich halte, nachdem ich den Oscar fürs beste Originaldrehbuch erhalte, wirst du deinen gebührenden Platz bekommen.
Nachdem ich Mama und Papa danke, dass sie mich gezeugt haben und meiner Frau, weil sie mir stets versichert hat, ich sei der witzigste, kleine, dicke haarige Kroate, den sie kenne und dabei immer verschwiegen hat, dass ich der einzige kleine, dicke, haarige Kroate bin, den sie kennt, werde ich wie folgt fortfahren:
„…aber vor allem danke ich der Ex-Schwiegermutter in spe meiner Frau, Waltraud. Du hast mir mit deinen selbst genähten Gardinen ermöglicht, ungestört im Keller meiner Berufung nachzugehen, ohne das Hunk mich sehen, stören oder töten konnte.
Die Wege des schöpferischen Herrn sind unergründlich und du bist der Engel, der mich unbeabsichtigter weise mit grünen und beigen Gardinen bedacht hat, welche die tristen Gitter unseres Kellers verdeckten und majestätisch den Raum in frischer Buntheit erstrahlen ließen.
Für manche sind es vielleicht bloß Gardinen und nicht der Rede Wert. Manche denken vielleicht auch, es sind Gardinen und viel zu schade für den Keller sowie kleine, dicke haarige Kroaten.
Ich aber sage euch, der Gedanke, den wir Menschen uns alle von Zeit zu Zeit stellen sollten, lautet nicht, was du für deine Gardinen tun kannst, sondern stets, was deine Gardinen für dich tun können.
Oder anders gesagt: du musst die Gardine sein, die du im Wohnzimmer sehen möchtest.
Oder auch: Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommen von irgendwo neue Gardinen her.
Wegen deinen Gardinen, liebe Waltraud, kann ich stolz verkünden: mein cellar is my castle, cellar sweet cellar und everybody needs some cellar or so similar to be there für sich alone – fern ab von Arbeit, Alltag und Co.
Deine selbst genähten Gardinen schafften mir damals mein kreatives Refugium. Danke dafür, liebe Waltraud. Mögen deine Strickkünste auch in Zukunft so viel Intimsphäre bringen und weiterhin andere Menschen zu kreativen Höhenflügen und entspannten Mittagsschläfchen inspirieren.“
* Der Name wurde aus datenschutzrechtlichen Gründen geändert. In echt heißt sie Gerda.