Seit ein paar Tagen haben wir einen Eindringling im Haus. Eine Maus. Keine Ahnung, wie sie in die Wohnung gekommen ist. Einen gültigen Passierschein hatte sie keinen. Soviel ich weiß, sind in Bayern ausländische Tiere untersagt. Falls sie kommen, müssen sie Maut zahlen. Und in ihren Behausungen bayerisch sprechen.
Reingebeten haben wir die Maus auch nicht. Ganz so wie wir das mit den Zeugen Jehovas immer machen. Die klingeln und wir machen nicht auf. So einfach ist es. Ewige Verdammnis sicher.
Doch die Maus, sie hat weder geklingelt noch hatte sie einen Wachturm dabei. Interessant, wenn man darüber nachdenkt. Klingelingeling. Dingdong.
„Guten Tag. Ich bin die Maus Jehovas, ich möchte …“
„Ich glaube nicht.“
Zack, Türe zu, Nager traurig, klingelt beim Nachbarn, die Geschichte wiederholt sich und eine Szene später steht die Maus an der U-Bahn-Station, tagaus, tagein, doch keiner beachtet sie. Irgendwann begreift sie, es muss auch ohne Glauben gehen, schmeißt den Wachturm weg und zieht durch die Felder. Ohne Hoffnung. Ohne Sinn. Bis sie eines Tages durchs offene Fenster in unserer Wohnung landet und das Schlemmerparadies erblickt.
Nun ist sie gekommen, um zu bleiben. Mindestens solange bis sich unsere Ostersüßigkeiten dem Ende zuneigen. Einen Hasen von Lindt hat sie bereits angeknabbert. Der Arme konnte sich nicht wehren, er war zum Großteil aus Zucker.
Wenn er um Hilfe geschrien hätte, wären wir ihm sofort zu Hilfe geeilt. Nur, um ihn dann selbst anzuknabbern.
„Dann lieber die Maus“, hat er sich womöglich in seinen letzten Sekunden gedacht, als sein ganzes süßes Leben wie ein Film vor seinem braunen Vollmilchaugen abgelaufen ist. Kakaobohne, Schiffcontainer, Schokofabrik, Alufolie, Supermarkt, Einkaufstüte, Maus. Aus.
Der Mario Gomez unter den Katzen
Viele denken jetzt, zum Glück habt ihr eine Katze.
Von wegen. Die ist so unfähig wie Mario Gomez vorm Tor.
Die würde nicht einmal eine tote Maus fangen, wenn wir sie ihr vor die Pfote legen. Müde lächeln würde sie. Sie hat ja ihr höriges Herrchen. Und Kitekat. Wer braucht da schon Lebendnahrung?
Wir sind ebenfalls unfähig. Verweichlichte Westler, die keiner Maus ein Haar krümmen können. Untergang des Abendlandes, ich hör dich nagen. Nachts, wenn alle schlafen. Da wird sie aktiv und treibt uns in den Wahnsinn.
Manche haben diese romantische Vorstellung von Mäusen. Aus dem Fernsehen. Von Serien wie Die Sendung mit der Maus, Tom&Jerry oder Der Pinky und der Brain. Aber im echten Leben sind Mäuse eklig. Mit ihren felligen Körpern, langen Schwänzen und riesigen Glupschaugen, als ob sie ständig auf einem Trip wären. Nagen alles an. Selbst wenn es bis drei auf dem Tisch ist. Wie meine Frau gestern. Wo ist ihr Mut geblieben, wenn es um eine Maus geht, verdammt?
Wenn wir Amerikaner wären, hätten wir sie längst mit einer unbemannten Drohne bombardiert. Feige, aber effektiv. Dabei wären ein paar Zivilisten drauf gegangen. Wahrscheinlich wir. Aber wer Frieden will, muss Opfer bringen. Kollateralschaden, Bruder.
Wenn wir Islamisten wären, hätten wir die Maus gezwungen, zum einzig wahren Glauben zu konvertieren. Sie hätte sich geweigert.
„Ich war mal Zeuge und das hat mich auch nicht erlöst.“
„Aber im Himmel warten 72 Jungfrauen auf dich.“
„Bei 72 Käsesorten mach ich es.“
Was wühlt dich auf, Maus?
Aber 72 jungfräuliche Käsesorten sind selbst für Allah eine Nummer zu krass. Als Gotteskrieger wäre uns dann nichts anderes übrig geblieben als die Maus zu köpfen, die Enthauptung zu filmen und das Video auf Mousebook zu posten. Als Warnung an alle anderen ungläubigen Mäuse, sich nicht mit den falschen Irren anzulegen.
Wenn wir Mafiosi wären, hätten wir im Kleiderschrank eine weiße Plastikplane ausgerollt und der Maus unmissverständlich klar gemacht, dass sie am falschen Schokohasen geknabbert hat. Wir hätten sie gefangen, gefesselt, in den Kofferraum gelegt, ihre kleinen Beinchen zubetoniert, sie in die Isar geworfen und arri-nie-vederci* gerufen.
Wir dagegen möchten mit der Maus reden. Etwas über ihre Beweggründe erfahren. Ihre Kindheit. Ihr Elternhaus. Ein klärendes Gespräch.
„Was wühlt dich seelisch auf, kleine Maus? Was nagt an deinem Inneren?“
„Nichts. Ich bin einfach eine Maus auf der Suche nach Futter.“
„Aber da muss doch mehr dahinter sein. Warum steigst du durch offene Fenster in fremde Häuser?“
„Weil Mäuse das nun mal so machen.“
„Aber es gibt Regeln, an die muss man sich halten. Du brauchst Hilfe. Was hältst du von einer Gesprächstherapie?“
„Hm. Das muss ich mir bei einem Stück Schokolade überlegen.“
Jetzt warten wir auf eine Entscheidung von der Maus. Seit Tagen. Sie braucht noch Bedenkzeit, fiepst sie, und wir akzeptieren das, füttern sie mit Süßigkeiten und sind froh, dass es nicht schlimmer gekommen ist. Stellt euch vor, da wären Zeugen Jehovas durchs offene Fenster gestiegen. Für die hätte es garantiert kein Gespräch gegeben.
Kleiner Nachtrag: Wir haben die Maus gefangen. Mit einer Lebendfalle. Als ich sie im Feld vor der Sankt Georg Kirche frei ließ, bat sie um ein letztes Stück Schokolade. Ich gab es ihr und fragte, was sie jetzt vorhabe. Sie sagte:
„Das Gleiche, was ich jeden Abend vorhabe. Ich versuche die Weltherrschaft an mich zu reißen.“
Viel Erfolg, kleine Maus.
* Auf diese Wortneuschöpfung ist der Autor besonders stolz.