Gut erhaltene Oma zu verkaufen

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Wir hatten sie schon eine ganze Weile und sie erwies uns gute Dienste. Sie stopfte Socken, buk Kekse und wusch die Wäsche. Natürlich empfanden wir das als nützlich und profitierten davon. Sie wurde für uns unverzichtbar und wir schlossen sie ins Herz. Warum auch nicht? Ich meine, man schließt auch seinen Toaster ins Herz, wenn er die Toasts schön knusprig brät. Doch irgendwann gehen auch die teuersten Dinge kaputt, werden alt, unbrauchbar und es stellt sich die Frage: wohin damit?

In letzter Zeit verrichtete unsere Oma ihre Arbeit einfach nicht mehr in der nötigen Geschwindigkeit. Und nicht mehr mit der Sorgfalt, wie wir es von ihr gewohnt waren. Die Löcher in den Socken wurden immer größer, die Kekse immer geschmackloser und die Wäsche blieb immer öfter ungewaschen.

Manchmal klopften wir gegen ihren Rücken, um sie schneller zum Laufen zu bringen, aber es war vergeblich. Die Oma war nicht mehr das, was sie mal war. Sie musste weg. Leider war die Garantie bereits abgelaufen. Und Rückgaberecht gab es auch keines. In dem Laden, in dem wir die Oma gekauft hatten, konnte man nur noch überteuerten Kaffee erwerben.

Zuerst dachten wir an den Wertstoffhof, aber unsere Oma war leider nicht mehr viel wert. Ihr linkes Bein zog sie nach, sie hatte Arthrose in den Fingern und im Gesicht schon Flecken. Wer weiß, ob es auf dem Wertstoffhof für das Material, aus dem sie sich zusammensetzte, überhaupt einen passenden Container gab.

Klar kam uns auch der Keller in den Sinn. Da lagerten wir gerne lieb gewonnene, aber unnütz gewordene Dinge. Immer mit dem Hintergedanken, dass man die vielleicht irgendwann mal wieder gebrauchen könnte. Aber mit der Oma konnten wir das nicht machen. Wir waren uns nämlich ziemlich sicher, dass wir sie nie wieder gebrauchen würden. Da konnte man noch so weit hinter denken, das war Fakt. Und Stauraum heutzutage eine kostbare Sache. Im Gegensatz zu alten Leuten.

So gab es am Ende eigentlich nur noch eine vernünftige Option: Wir inserierten die Oma auf ebay Kleinanzeigen. Da fand man nahezu für alles die passenden Käufer. Warum auch nicht für sie?

Wir befreiten sie vom Staub und zogen ihr frische Sachen an. Dann machten wir ein paar ansprechende Fotos von ihr. Von links, rechts, im Liegen und Sitzen. Je mehr gute Bilder man von dem zu verkaufenden Produkt bereitstellte, desto größer waren die Verkaufsaussichten, hieß es in den Verkaufstipps auf der Webseite. Das war gar nicht so einfach.
„Oma, halt bitte den Rücken gerade. Was sollen nur die Leute denken?“
„Ich kann nicht, mein Junge. Du weißt doch, dass er gekrümmt ist.“
„Hm. Gut. Dann halt wenigstens den Mund geschlossen beim Lächeln, damit die Käufer deine Zahnlücken nicht bemerken.“

Die nächste Herausforderung war, die passende Kategorie zu finden, in der wir das Inserat schalteten. Nachdem wir „Tiere“ und „Multimedia“ ausschlossen, wählten wir „Freizeit, Hobby und Nachbarschaft“ mit der Unterkategorie „Kunst & Antiquitäten“.
Als Anzeigentitel entschieden wir uns für: Gut erhaltene Oma im trendigen Retrolook zum absoluten Schnäppchenpreis. 60 Euro. Verhandlungsbasis.

Der Beschreibungstext lautete:
Schweren Herzens verkaufen wir unsere Oma. Sie hat die Maße 160 x 70 x 30 cm (Höhe, Breite, Tiefe) und passt perfekt in jede Ecke. Ihre Farbe ist beige-rosa mit ein paar braunen Altersflecken hier und da.

Die Oma erledigt immer noch zuverlässig den Haushalt, allerdings nicht mehr ganz so flott wie früher. Ab und zu hat sie einen Wackelkontakt, da muss man sie ausschalten und wieder einschalten. Die Bedienungsanleitung kann man im Internet runterladen. W-LAN geht noch, aber die Fernbedienung ist verloren gegangen.

Wichtiger Hinweis: Die Oma spricht nur kroatisch. Es gibt keine andere Sprachversion. Deshalb ist der Preis auch auf 60 Euro reduziert und der Gegenstand wird ausdrücklich als defekt verkauft. Da es sich um einen Privatkauf handelt, entfällt die gesetzlich vorgeschriebene Garantie und das 14-tägige Rückgaberecht. Wir bevorzugen Selbstabholer, können aber die Oma gegen zusätzliche Versandkosten auch deutschlandweit verschicken. Bitte nur seriöse Angebote.

Keine fünf Minuten später bekamen wir die erste Anfrage.
Kazunakis schrieb: Habe Interesse. Ist Oma noch haben?
Wir schrieben: Ja.
Kazunakis schrieb: Gut. Adresse und Name. Sofort. Brauche Niere. Schnell.
Wir bekamen Angst und schrieben nicht mehr zurück. Die Oma an Organhändler zu verkaufen, das ging dann doch zu weit. Noch.

Tom schrieb: Kann die Oma auch Schweinebraten mit Kruste?
Wir schrieben: Ja, aber schmeckt nicht so lecker. Krautwickerl kann sie besser.
Tom schrieb: Krautwickerl mag ich nicht. Ich schau mich nach einer anderen Oma um.
Wir schrieben, ok. Und konnten Tom verstehen. Wir suchten parallel auch eine neue Oma mit besseren Kochkünsten und verfolgten gespannt die neuesten Rezensionen der aktuellen Modelle in der Zeitschrift „Großmutter kompakt“.

Alexander schrieb: Meine Frau hat ihre Oma gerade verloren und jetzt möchte ich ihr zum Geburtstag eine neue schenken. Allerdings mag meine Frau beige nicht. Gibt es die Oma auch in türkis?
Wir schrieben: Wenn du was türkises willst, geh zum IKEA.
Wir hörten nichts mehr von ihm.

So ging das über ein paar Tage. Es gab viele Interessenten, aber keinen einzigen seriösen Käufer. Jeder hatte etwas auszusetzen und wir bekamen das Gefühl, dass sie unsere Oma gar nicht richtig wert schätzten. Einer wollte sie gegen ein defektes iphone tauschen. Ein anderer gegen seine Ehefrau. Wir fragten, ob die leckeren Schweinebraten mit Kruste machen könne. Als er verneinte, entschieden wir uns gegen den Tausch. Und überhaupt gegen den Verkauf der Oma an sich.

„Lass es uns vielleicht doch mit dem Wertstoffhof versuchen“, schlug meine Frau schließlich vor und ich räumte schon den Kofferraum leer. Anscheinend durchschaute Oma den Plan, denn plötzlich sprang Großmütterchen auf, streckte ihren Rücken, machte einen Handstand und ging auf Händen durch die halbe Wohnung. Dann jonglierte sie drei Bälle mit ihren Füßen, während sie fast fehlerfrei ein altes kroatisches Volkslied in zwei verschiedenen Oktaven sang.

Wow. Wir waren schwer angetan von ihrem Können und bekamen ein richtig schlechtes Gewissen, dass wir sie so herzlos aus unserem Leben schließen und einfach über ebay Kleinanzeigen verkaufen wollten. So scheiße war unsere Oma gar nicht. Und vielleicht konnten wir sie doch noch gebrauchen. Wir entschlossen uns, sie zu behalten. Ein bisschen Stauraum war im Keller noch vorhanden. Wenn wir Opa verkauften.

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