Meine Mutter schaut gern Telenovelas. Früher, als wir noch ein kleines kroatisches Restaurant in Germering hatten, erzählte sie unserer Küchenhilfe immer so intensiv von der letzten Episode ihrer Lieblingsserie „Sturm der Liebe“, dass ich glaubte, bei der erfundenen Geschichte handle es ich um reale Ereignisse.
„Dann hat Julia herausgefunden, dass Stefan sie mit ihrer eigenen Schwester betrogen hat. Stefan, ihre große Liebe. Wie konnte er nur? Jetzt will sie sich rächen, indem sie mit seinem besten Freund Markus schläft. Nur das Problem ist, Markus ist schwul und findet Julia etwas schnippisch…“
Von der Theke aus lauschte ich gebannt den Worten meiner Mutter und wollte unbedingt hören, wie es weiter ging, doch Mutter stockte. Ich stürmte in die Küche.
„Mama, wer zum Teufel sind Julia, Stefan und Markus? Und überhaupt, wird Markus mit Julia schlafen, obwohl er sie nicht mag und auf Männer steht, wird Julia dadurch Genugtuung erfahren und vergessen können, und schlussendlich, wie wird Stefan auf die ganze Scheiße reagieren?“
„Ich weiß es nicht, mein Sohn“, sagte meine Mutter, „die nächste Folge läuft erst wieder am Montag.“ Uff. Wer konnte es bis dahin aushalten?
Genial, diese Drehbuchautoren. Beflügelt durch die Liebe zu meiner Mutter und melodramatischen Geschichten beschloss ich, selbst einer zu werden. Ich bewarb mich als Praktikant bei „Sturm der Liebe“.
Liebe Natascha,
mein größter Wunsch von Kindheit an ist es, Drehbuchschreiber für Telenovelas zu werden. Meine Mutter würde das auch sehr freuen, denn sie ist großer Fan dieser Unterhaltungsform, besonders eurer Serie.
Vielleicht darf ich ja über fleißiges Kopieren und lecker Kaffe kochen hinaus auch die ein oder andere Zeile in das Drehbuch einstreuen. Zum Beispiel so etwas wie:
„Claudia hat Johannes nicht ermordet, es war Claudias böse Zwillingsschwester.“ Und dann, „Close Up*“ auf das erschrockene Gesicht von Johannes trauernder Mutter Gabi, dramatische Musik und Abspann…
Was meinst du, Natascha, cool, oder? Also, falls ihr jemanden braucht, schicke ich euch gerne meine Bewerbungsunterlagen.
Ich freu mich. Viele Grüße Mate
Mann, Freunde, wie meine Mutter die nächste Folge konnte ich die Antwort kaum erwarten. In meinem Bett tagträumte ich bereits vom deutschen Fernsehpreis, einer Karriere in Hollywood und meiner neuen Arbeit für „Emergency Room“. Ich malte mir weitere fetzige Dialogschnipsel aus.
„Ich liebe Sabine. Sie ist die Frau meines Lebens.“
„Aber, Karsten. Weißt du nicht, dass sie Gunnar überfahren hat.“
„Schweig, Peter, sonst überfährt sie auch noch dich.“
„Aber, ich liege doch seit Wochen im Koma, Karsten.“
„Egal, Sabine findet auch dafür einen Weg.“
Und dann, „Close up“ auf das erstarrte Gesicht von Peter, der im Koma liegt, dramatische Musik und Abspann.
Eines war klar. Den Fernsehpreis hatte ich sicher und ich wusste auch, wem ich in meiner Dankesrede dafür danken würde.Doch, ach. Hochmut kam bekanntlich immer vor dem nächsten offenen Gullydeckel. Natascha antwortete mir.
Lieber Mate,
auch wenn es bei „Film + Fernsehen“ manchmal locker zugeht, treffen wir keine Entscheidungen ohne vollständige Bewerbungsunterlagen.
Wir würden keine Suchanzeige schalten, wenn wir nicht eine Stelle an einen Praktikanten zu vergeben hätten.
Viele Grüße
Natascha N.
Dramaturgie Sekretariat „Sturm der Liebe“
Autsch. Ich mache keinen Hehl daraus, die Antwort enttäuschte mich. Was bildete sich diese blöde Schnepfe eigentlich ein, all meine Träume, Wünsche und Sehnsüchte so mit Füßen zu treten? Fernsehpreis, Dankesrede und Hollywood für immer ade?
Das sollte sie büßen. Niemand zerstörte so leichtfertig meine Träume und kam ungestraft davon. Ein teuflischer Plan umtrieb meine Gedanken, doch zuvor musste ich die Brezlkrümel in eine andere Richtung streuen. Ich schrieb zurück.
Liebe Natascha,
vielen Dank für deine Antwort. Ich denke, ich werde mich nach etwas anderem umsehen.
Weiterhin viel Erfolg bei der Suche eines Praktikanten.
Schöne Grüße Mate
Am Montag in einem kleinen kroatischen Restaurant in Germering fragte unsere Küchenhilfe meine Mutter, wie es mit Julia, Stefan und Markus weiterging.
„Oh, die Serie wurde heute abgesetzt. Etwas Schreckliches ist geschehen. Die Sekretärin der Dramaturgieabteilung von „Sturm der Liebe“, eine gewisse Natascha N. wurde von ihrem eigenen Aktenschrank erschlagen. Der Schrank war voller Praktikantenbewerbungen, so dass er wegen der Last vornüber umgefallen ist. Dabei ist sogar eine in Nataschas Mund gelandet. Die Bewerbung eines gewissen Mate T….“
Meine Mutter stockte kurz.
„Oh, mein Gott!“, sagte sie.
Und dann, „Close up“ zum erschrockenen Gesicht meiner Mutter. Schnitt und „Close up“ zum diabolisch grinsenden Gesicht von mir, dramatische Musik und Abspann.
* Nahaufnahme