Dein Blut ist uns nicht gut genug

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„Lass uns Blut spenden“, sagte meine beste Freundin Rapha, als wir auf einem grünen Hügel im Westpark saßen. Wir sprachen über unseren anstrengenden Alltag, jammerten auf absolutem Weltklasseniveau und genossen die schöne Aussicht auf die frisch blühenden Bäume, Blumen und Sträucher – Kastanie, Flieder, Magnolien. Neben uns ragte Gänsekacke aus den Grashalmen hervor.

„Meinst du wirklich?“, fragte ich und dachte darüber nach. Mutter Teresa war ich schwerlich und abgesehen von meinen langen Haaren und dem Dreitagebart fehlte mir auch einiges zu Jesus. Immerhin, ich konnte Wein zu Wasser machen.

„Der Blutspendedienst hat bis sieben offen. Jetzt ist fünf. Wir könnten es noch heute schaffen.“
Warum nicht, dachte ich. Wird Zeit, die eigene Egozentrik zu überwinden und anderen was Gutes zu tun.

Das nächste Argument überzeugte mich aber vollends.
„Außerdem bekommt man beim ersten Mal einen Kinogutschein und dann für jedes weitere Mal 20 Euro. Wenn du Plasma oder so spendest bekommst du sogar 50“, sagte Rapha.

Hoppla. Der Wecker klingelte. Mein innerer Finanzberater hob seinen schläfrigen Kopf vom Schreibtisch und horchte auf. Bei deiner Arbeitsmoral kannst du schnelle und unkomplizierte Einnahmequellen immer gut gebrauchen, mein Freund.
„Prima, lass uns Blut spenden gehen“, sagte ich.

Gesagt, getan. Wir verabschiedeten uns von den Gänsen und ihren Exkrementen, schwangen uns auf die Fahrräder und pedalten zum Blutspendedienst in der Nymphenburgerstraße.

Das Gebäude wirkte verlassen und, Achtung versteckter Wortwitz, ein wenig blass um die Wände. Wir gingen irgendwie vollkommen mit uns selbst zufrieden in den ersten Stock zur Anmeldung. Dort füllten wir einen Fragebogen aus, der klärte, ob wir überhaupt Blut spenden durften.

Hast du Hepatitis? Nope. Hast du Boreliose? War mir nicht sicher, was das überhaupt war, aber nein. HIV? Ach, komm.
Schilddrüsenerkrankungen? Nei…verdammt. Ich kreuzte ja.

Vor etwa einem Monat hatte mein Arzt eine starke Unterfunktion festgestellt und auf einem Schlag mein ganzes zuvor gelebtes Dasein plausibel erklärt. Müdigkeit, Antriebslosigkeit, chronische motivationale Schieflagen, depressive Verstimmungen und und und – dachte immer, die Symptome hatte ich, weil ich so ein schlauer Bursche war und zuviel nachdachte über dies und das, also eigentlich alles. Aber nix da. Ich war genauso so doof wie wir alle anderen.

Seitdem das klar war, schluckte ich jeden Morgen eine Hormontablette, welche die Unterfunktion regulierte. Es half. Mein Leben bekam wieder Sinn und Farbe. Ich sah wieder Regenbogen. Auch dort, wo es dunkel war.

Während ich die Fragen beantwortete, klingelte das Telefon, meine Mutter rief an.
„Wo bist du, mein Sohn?“
„Beim Blut spenden?
„Oh Gott, was ist denn passiert?“, fragte Mutter.
„Nichts, ich wollt einfach mal ne gute Tat vollbringen.“
Meine Mutter lachte.
„Und warum wirklich?“ Mütter kannten ihre Kinder einfach besser als die sich selber.
„Es gibt gratis Kinotickets, Mama!“

Der gratis Gatsby

Als ich den ausgefüllten Bogen der Schwester reichte, fragte sie mich, welchen Gutschein ich gerne hätte. Schwimmbad, Tierpark oder Kino?
Kino natürlich, sagte ich und fragte gleich, ob ich auch einen ganzen Liter spenden konnte, um so zwei Karten zu bekommen. Als Filmbegleitung dachte ich da an meine schwangere Liebste, die daheim ihren Babybauch schonte.
„Schauen wir doch mal, Herr Tabula, ob sie überhaupt spendefähig sind“, bemerkte die Schwester lakonisch.

Klar bin ich das, dachte ich. Bei meinen roten Backen und dem dichten Haar, das meine Brust umhüllte, zweifelte ich nicht eine Sekunde an meiner Potenz. Vor meinem geistigen Auge stopfte ich mir schon das Popcorn in den Mund und spülte es mit einer kühlen Coke nach.

Doch ach, man sollte nie das Frühstück vor dem Abendessen loben. Nachdem die Schwester mir in den Finger piekste, ins Ohr stocherte und den Blutdruck maß, durfte ich rüber ins Ärztezimmer. Frau Doktor Zeljka Drvenkar, eine Landsfrau, wie ich vermutete, gähnte mich zur Begrüßung an.
„Schön, dass sie spenden möchten, Herr Tabula. Wann haben sie denn das letzte Mal etwas gegessen? Länger als drei Stunden sollte es nicht her sein.“

Das hätte sie nicht sagen dürfen. Meine letzte Mahlzeit lag über sechs Stunden zurück. „Also länger als, was sagten sie noch, Frau Doktor, drei Stunden, ist es nicht her“, log ich.

Das Blut pulsierte eiskalt in meinen durchtriebenen Adern. Ha. Auch wenn ich im Anschluss an meine Spende bewusstlos umfallen sollte, meine Liebe zu guten Geschichten war größer als das Leben selbst. Ich wollte unbedingt das Kinoticket. Der große Gatsby lief morgen an.
„Sie haben eine Schilddrüsenerkrankung angegeben. Handelt es sich dabei um die Hashimoto…“, den Rest verstand ich nie, irgendetwas mit Theody oder so. Aber dieser Japaner sagte mir was. Mein Hausarzt hatte mir erzählt, dass nach ihm die Autoimmunerkrankung benannt ist, die mich vermutlich marterte.

Ein „nein“ lag mir bereits auf den Lippen, aber mein schlechtes Gewissen verpasste mir einen sanften Klaps auf den Hinterkopf.
„Könnte sein, Frau Doktor.“
„Dann kommen sie leider erstmal nicht als Spender in Betracht.“
Der Vorhang vor der Leinwand schloss sich. Bye, bye gratis Gatsby.
„Sie haben viel zu viele Antikörper in ihrem Blut, als dass ihre Spende nützlich wäre.“

Der Wille war stark. Das Blut nicht.

Nachdem ich mit Doktor Drvenkar ein wenig auf kroatisch über die Vorteile einer bilingualen Beziehung plauderte, schlenderte ich in den Erfrischungsraum. Als ich mir einen Kaffee machte und ein paar Kekse snackte, schaute mich eine Schwester merkwürdig an. „Wo sind denn ihre Papiere?“
„Ach, ich spende nicht, ich warte nur auf eine Freundin.“
„Na dann, nehmen sie sich ruhig noch ein paar Kekse, die eigentlich nur für die Spender gedacht sind.“
Ich überhörte die Ironie in ihren Worten und dankte. Junge, vitale, gesunden Menschen stolzierten an mir vorbei. In ihren Gesichtern spiegelte sich eine Mischung aus Stolz und Freude ob der guten Tat, die sie vollbrachten.

Ihr Schweine, dachte ich und haderte mit meinem Schicksal. Du nutzloser Mensch zweiter Klasse, scheiterst an deinem minderwertigen Blut, das sich selbst bekriegt. Selbst Vampire würden an dir vorbeifliegen. Jetzt mal ehrlich, wenn der Kaffee nicht so lecker geschmeckt hätte, ich glaube, ich hätte sogar ein wenig geweint.

Ein aufgedrehter Spenderhelfer, der Goofy vom Disneyclub ähnelte, fragte alle, die gerade vom Spenden kamen, ob es ihnen gut gehe. Dabei wackelte er mit seinem Kopf hin und her. Links, rechts. Wie auf Drogen, der Kerl.
„Ist alles in Ordnung mit ihnen? Alles klar? Ruhen sie sich aus und entspannen sie. Trinken sie ruhig drei, vier Becher und essen sie ein paar Snacks. Das haben sie gut gemacht“, sagte er. Mich ignorierte er, der Hund.

Als meine Freundin Rapha fertig war, wankte sie etwas zittrig, doch sichtlich euphorisiert zu mir. Wir teilten uns ein paar Kekse und Getränke.
„Mann, Mate. Das war total cool. Du liegst da und pumpst dein eigenes Blut aus den Venen. Auf einem Monitor siehst du, wie viel Milliliter pro Sekunde abfließt. Die Ärzte sind alle total nett zu dir und am Ende bekommst du einen Kinogutschein fürs Cinemaxx. Wie war es bei dir?“, plapperte sie überdreht und glücklich.

„Schweig!“, sagte ich zu meiner ehemals besten Freundin. „Mein Blut war denen nicht gut genug. Komm, lass uns was essen gehen.“

Im „Hans im Glück“ ergatterten wir einen Tisch draußen. Wir bestellten etwas zu essen und ließen den Tag Revue passieren. Da willst du einmal in deinem Leben eine gute Tat vollbringen und dann bist du dafür nicht geeignet, dachte ich und jammerte wieder weltklassemäßig. Der Burger im Vollkornbrötchen und mit Ziegenkäse schmeckte sehr lecker. Morgen ging es ins Kino. Meine Liebste hatte mir zum Geburtstag zwei Tickets geschenkt. Sie war eine Gute. Wer brauchte da noch Blut spenden?

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