Laut Definition ist die „Amour fou“ eine leidenschaftliche, verrückte Liebe, die aufgrund ihrer Intensität und Aussichtslosigkeit als unnormal und unvernünftig empfunden wird. Genau das macht sie so begehrenswert, aber auch gefährlich.
Bis gestern brannte ich ebenfalls leidenschaftlich für jemanden und beinahe wäre ich daran zu Grunde gegangen.
Meine Freundin und ich waren noch frisch verliebt, als letzten Sommer das iphone vier in mein Leben trat. Wie ein Wirbelwind fegte es die analoge Welt hinweg und öffnete mir die scheinbar unendlichen Pforten des weltweiten Netzes. Immer und überall. Inklusive Datenflat.
Plötzlich richtete ich nur noch meine Augen auf das hoch auflösende Retina-Display meines neuen Liebhabers und vergaß alles andere um mich herum. Das Zwitschern der Vögel, den Duft frisch erblühter Rosen, den Genuss des Augenblicks, meine Liebste – nichts spielte eine Rolle mehr.
Alles, was zählte, waren das iphone, ich und ein voll geladener Akku. Hand in Hand erkundeten wir die Stadt. Mein iphone spielte mir Musik vor, beantwortete Fragen, berichtete über die neuesten Nachrichten, zeigte mir den Weg, verband mich mit meinen Freunden. Face to Face und ohne, dass ich je einen zu Gesicht bekam.
Unser Glück schien perfekt. Die Realität holte uns ein. „Jetzt leg endlich das scheiß Ding weg!“, schimpfte meine Freundin und blickte meinen neuen Lover eifersüchtig an. „Früher hast du noch über Smartphonezombies gelästert, jetzt bist du selbst zu Einem geworden.“
Das stimmte, aber alles, was ich sagte, war: „Du bist doch nur neidisch, du technikscheue Hinterwäldlerin, du.“
Ja, ich hatte mich verwandelt und schlingerte in eine gefährliche Abhängigkeit. Aber der Drang nach meiner verrückten Liebschaft war mächtiger. Und zack, schon packte ich das Gerät aus der Hose und spielte damit rum.
Wenn ich mein geliebtes iPhone nicht in den Händen hielt, fehlte mir etwas. Im Kopf hörte ich schon seine Stimme, die sprach: „Nimm mich, drück mich, berühr mich, verführ mich. Streichle mich bis zur Bewusstlosigkeit, bis mein Akku leer geht. Lade mich wieder auf und polier mir den Touchscreen. Komm schon, Süßer, komm schon. Ich liebe es, wenn deine Finger über mich streicheln, du weißt genau, welche Knöpfe du drücken musst, um mich zum Leuchten zu bringen. Vergiss deine Gesprächpartner und das Profane, vergiss die Freundin, deine Familie und das Reale, nur ich und du sind das einzig Wahre.“
Mir wurde heiß, ich schwitzte und fing an zu zittern. Wie ein Alkoholkranker auf Entzug. Nur noch ein Update, nur noch ein kurzer Blick auf Facebook, WordPress und Outlook – das war für mich wie für einen Alki ein doppelter Kurzer, der die Kehle runter floss und das Zittern linderte.
Vor dem zu Bett gehen rollte ich meinen Gebetsteppich Richtung Silicon Valley aus und sagte meine Version des „Vater Unser“ aus:
Steve Jobs, der du bist im Himmel,
deine Innovation komme, dein Design geschehe.
Wie in Palo Alto so auch in jedem Apple Store,
unser tägliches Update gib uns heute
und vergib allen analogen Menschen ohne Netzanschluss.
Denn dein ist das iphone und das ipad und das i pad mini und viele weitere tolle Konsumgüter in Herrlichkeit und aller Ewigkeit. Amen.
Goodbye my lover, goodbye my brain
Von einem Moment auf den anderen vergaß ich all meine Träume, verlor meine Konzentration und Achtsamkeit, setzte mich immer seltener, immer kürzer an den Schreibtisch zum Arbeiten und verschenkte kostbare Tage and die weltweiten Nichtigkeiten, die meine geistigen Fähigkeiten bis auf ein Minimum verkümmern ließen.
Am Samstag dann die Rettung. Mein Bruder und seine Frau kamen zum Essen. Zwischen den Gängen schoben sie sich immer wieder ihre Smartphones in die Hände. Guck mal, guck mal. Hahaha. So ein Depp. Ach du Schreck, ist das bescheuert. Scroll. Lol. Hihi. Hi.
Der Beweis war erbracht, Zombies waren keine Hirngespinste aus Hollywood. Zombies waren real. Mein Fleisch und eingeheiratetes Blut.
Die beiden waren verloren. Ich erkannte, dass mein geliebter Bruder und meine Lieblingsschwägerin (ich hatte nur eine) smartphonezombiefiziert waren. Im Endstadium, Freunde. Der Virus hatte sich in ihren Hirnlappen ausgebreitet, für jegliche Hilfe war es zu spät.
Immanuel Kants berühmte Worte kamen mir in den Sinn. „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“
Vielleicht gab es noch Rettung für mich. Vielleicht war die Seuche bei mir noch nicht so weit voran geschritten. Ich sah nur einen Ausweg. Die Radikaldiät. So leidenschaftlich und intensiv meine „Amour fou“ begonnen hatte, so schnell und unspektakulär endete sie. Ohne noch einmal aufs blank polierte Display zu blicken und sanft drüber zu streicheln warf ich mein iphone in den Müll.
Geschafft. Das erste, was ich im Anschluss erblickte, waren die Wunder der Natur. Ein süßes Eichhörnchen hüpfte lieblich durch die Hecke, ein stolzer Adler kam und zerrupfte es anmutig. Wie herrlich es doch ist ohne Ablenkung im Augenblick zu verweilen, dachte ich und war wieder glücklich. Es gab auch ein Leben außerhalb der Virtualität. Das war zwar analog und bisweilen grausam, aber es war real und schön. Meine Freundin nahm mich stolz in den Arm.
Doch, ach. Am Mittag klingelte des Teufels Adjutant an der Tür. Der Postbote überreichte mir ein Paket. In einem Gewinnspiel hatte ich ein neues iphone fünf gewonnen. Verfluchte Kacke. Das Zittern kam zurück, mir wurde heiß, meine Augen glasig. Der Wille war da, aber die Finger schneller. Ich packte das geile Teil aus, schaltete es an, checkte kurz meine Mails und …