Chief Executive Officer des stillen Örtchens

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Kurz vor Geburtstagen, aber auch zwischendurch halten wir gerne einmal inne und denken darüber nach, was bisher so war, wie es ist und was vielleicht noch sein wird.

Viele meiner Freunde starten gerade karrieremäßig voll durch. Beförderungen, Gehaltserhöhungen, Führungspositionen, Überstunden – das volle Programm eben, Popcorn und Firmenwagen inklusive.

Nur ich, kurz vor der eins nach der drei spüre, dass es kurz vor zwölf ist, trete auf der Stelle, verharre scheinbar im Leerlauf des Lebenslaufs und fröne dem gepflegten Müßiggang.

Müßiggang? Ein ausgemachter Faulpelz bist du, könnten kritische Stimmen tönen, doch in David Mitchells „Wolkenatlas“ habe ich gelesen, „ein Müßiggänger und ein Faulpelz unterscheiden sich im gleichen Maße wie ein Schlemmer und ein Vielfraß.“

Richtig, ich esse viel und gern, dennoch fühle ich mich entschieden dem Ersterem verwandt. Und so schlemme ich kurz nach zwölf im englischen Garten die ersten, zweiten und dritten Sonnenstrahlen des lang ersehnten, lang auf sich warten lassenden Frühlings.

Und so ganz stimmt das ja mit dem auf der Stelle im Leerlauf verharren auch nicht. Meine Liebste hat mich neulich erst befördert. Ich sollte das Bad putzen.

Eine neue Stufe unseres Zusammenlebens sei nötig, ein höheres Level, eine anspruchsvollere Schwierigkeitsstufe. In der heutigen Zeit schließlich sei es unerlässlich, meinte sie, auch auf dem Gebiet des Badputzens Gleichberechtigung herzustellen.

Keine Frage, nix dagegen, gab ich mich weltmännisch, ich hätte jedoch das Gefühl, dass sie das doch ganz gerne mache. Außerdem entsorge ich alle zwei Tage das Katzenkot und wische zudem immer und überall das Erbrochene unseres flauschigen Mitbewohners weg. Des Weiteren müsse ich mich aufs Schreiben von Geschichten konzentrieren und ich bezweifle stark, dass Shakespeare, Goethe oder die Tussi, die „Shades of Gray“ geschrieben hat, sich mit Badputzen aufgehalten haben. Na, gut, letztere vielleicht schon, räumte ich ein.

Netter Versuch, du wortgewandter Möchtegernmacho, wischte meine teure Freundin meinen wie ich finde durchaus schlüssigen Argumentationsfaden bei Seite und drückte mir Schwamm, Essigreiniger und Latexhandschuhe in die Hände. Ich könnte ja über meine neueste Erfahrung eine Geschichte schreiben. Außerdem möchte sie nicht, dass diese Aufgabe nur an ihr haften bleibe. Sie drängte mich ins stille Örtchen und ließ die Toilettentür von außen ins Schloss fallen. Viel Spaß beim Wischen, sagte sie zum Abschied.

Mit der Essigessenz gegen den Endgegner

Was tun? Ich ergab mich meinem Schicksal und dachte an die armen Seelen, die es schlimmer erwischt hatten als ich. Ich dachte an all die, die allein und verzweifelt sich sehnlich wünschten, der Herr möge ihnen doch eine Freundin schicken, die ihnen solche Befehle erteilte.

Derweil machte es sich meine Holde auf der neuen Couch bequem, faltete die Hände ineinander und legte diese entspannt auf ihren wohlgeformten Babybauch. Ihre Haltung schien einem fernöstlichen Meister der Meditation entnommen.

Mir kamen Worte wie Imperialismus, Kolonialstil, Herrin und Sklave in den Sinn. Allein, noch weigerte ich mich in Unterwäsche zu wischen. Noch war unsere erotische Koexistenz so erfüllend, so funkelnd, dass wir solche Experimente bis auf weiteres auf später verschoben.

Während ich nun die Essigessenz auf die weiße Keramik spritzte und mit dem Schwamm auch in die tiefsten Tiefen der Rillen wischte, während meine zwei Lieblingsherzen friedlich in der Horizontalen schlummerten, kam mir mein Großvater in den Sinn. Mein Namensvetter, Opa Mate. Gott hab ihn selig, möge er ihn Frieden ruhen.

Jedes Mal, wenn ich im Sommer aus dem exotischen Deutschland ins beschauliche kroatische Dorf meiner Großeltern, Pristeg bei Benkovac, kam, fragte mein Opa mich, ob ich etwas anständiges zum …räusper…räusper… hätte. Entschuldigt, aber der Ausdruck von Opa Mate verbietet sich hier, dies ist eine saubere Geschichte.

Dabei schlug er mit seiner rechten flachen Hand seitlich gegen seine linke geballte Faust. Womöglich, um mir gestisch wie rhythmisch zu verdeutlichen, was er damit meinte.

Natürlich unterbrach meine Oma dann immer das Bad putzen und wischte meinem Opa mit dem Mob eins über. Er solle den Enkel keine solchen Schweinereien fragen. Mein Opa grinste schelmisch und trank einen Schluck Wein.

Das erste Mal stellte er mir die Frage, als ich drei Jahre alt war. Obwohl ich sie nicht verstand, womöglich ihren Sinn nur unterbewusst ahnte, mochte ich die Geste, die mein Opa auf die Frage folgen ließ und ahmte diese gerne vor Verwandten, aber auch wildfremden Badegästen am Meeresstrand nach.

„Wie schaut es aus, hast du etwas zum …räusper…räusper?“, fragte ich da den Berliner aus Dortmund zum Beispiel. Seine Frau sonnte sich links neben ihm. Mit meiner flachen rechten Hand schlug ich seitlich gegen meine linke geballte Faust.

Eine existenzielle Frage war das, wie ich später lernte, und gar nicht so leicht zu beantworten. Der Berliner und seine Frau lachten nur und schwiegen. Sie waren froh, aus einem zivilisierten Land zu kommen, wo solche Themen tabu waren.

Keine Opfer, kein Bunga Bunga

Während ich den Klositz fester an die Schüssel schraubte sowie das blank geputzte Weiß trocken wischte, stellte ich mir vor, dass mein Opa noch lebte und ich ihm mit einem zufriedenen Lächeln antworte: „Ja, Opa, ich habe etwas zum …räusper…räusper, allerdings muss ich dafür ziemlich viele Opfer bringen.“

Ich würde ihm erzählen, vom Bad putzen, Katzenklo reinigen, Erbrochenem wegwischen, Müll raus tragen, Wäsche waschen, im Sitzen pinkeln, Kuscheln und so weiter, und so fort.

Opa Mate würde nur ungläubig den Kopf schütteln und sagen: „Früher war alles besser, mein Junge. Der Mann holte sich einfach, was er wollte und Klos zum Putzen gab es auch keine. Man pinkelte in Schüsseln, die neben dem Bett unterm Kopfende standen und wenn man morgens aus Versehen hinein trat, desinfizierte das gleich die Bakterien von gestern. Den Rest wischte das Weib weg. Oder man wischte das Weib weg.“

Mein Opa. Ich mochte ihn gern, aber mit so einer Einstellung hätte er heute keinen Trumpf im Ärmel gehabt oder anders gesagt, keinen einzigen Stich mehr gelandet. Ich lächelte in mich hinein und stellte mir Oma vor, wie sie ihm mit dem Mob eins überwischte.

Als ich mit dem Bad fertig war, meine Lehnsherrin das Ergebnis inspizierte und für gut befand, meinte sie, dass nun im Garten der Rasen gesät werden sollte. Wie ein braver Leibeigener nickte ich und tauschte Latex gegen Gartenhandschuhe.

Na, und? Wenn am Ende meines Lebenslaufs als einziges steht, glücklicher Familienvater und liebender Mann gewesen zu sein, in meinem letzten Arbeitszeugnis, „Er stellte stets seine Frau zufrieden und zauberte seinen Kindern ein Lächeln ins Gesicht.“, dann habe ich karrieremäßig all meine Ziele erreicht.

Bis dahin würde es kein einfacher Weg sein. Oft noch musste das Bad geputzt und der Rasen gesät werden. Aber die Probezeit hatte ich bereits überstanden und wer weiß, wenn ich das Saatgut geschickt über die steinige Erde verteilt habe, würde sich heute Abend die Chefin vielleicht erkenntlich zeigen. Und ich hätte was zu vögeln, Freunde. Mein Opa Mate wäre bestimmt stolz auf mich.

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