Seit zwei Monaten arbeite ich nicht mehr als Werbetexter und mache das, was man als studierter Arbeitsloser den ganzen Tag zu Hause so macht. Ich lese die Klassiker der Weltliteratur, aktuelle Bestseller, geh regelmäßig Laufen, mache Yoga für den Rücken, lerne eine zweite Fremdsprache, unterstütze mit meiner Stütze ein wohltätiges Projekt in Liechtenstein, für arme Kinder von Steuerflüchtlingen übrigens, und wenn es dann noch meine knapp bemessene Zeit zulässt, häng ich mit meinen neuen Freunden vor dem Aldi ab. Rico, Ecki und Bolle. In der Hand ein gepflegtes Pils aus der Plastikflasche. Natürlich mit Schraubverschluss.
Das Blöde, jetzt haben wir von dem Store Manager des Aldi Aufenthaltsverbot vor, hinter und neben der Eingangstür bekommen. Gleich einem verscheuchten Rudel Wölfe mit Alkoholschwips sagten wir zum Abschied Prost und verstreuten uns. Aber nicht ohne ein volles Sixpack unterm Arm und der neuesten Ausgabe der Tageszeitung, die ich erst neulich abonniert hatte. In meiner Höhle war es schön warm. Meiner neuen Agentur sei dank, die hatte für jeden Arbeit und das entsprechende Gehalt.
Ein altes serbisches Sprichwort sagt, der Mensch lernt solange er lebt und stirbt doch unwissend. Auch wenn wir Kroaten wahrscheinlich etwas schlauer sterben als die Serben, kleiner Scherz am Rande, da ist schon was dran. Trotzdem, bei Kreuzworträtseln oder Sudoku ist schon besser, man ist kein Forrest Gump. Das Gesamtwerk von Nietzsche und Kierkegaard, dass meinem Willkommenspaket vom Arbeitsamt beilag, half da aber auch nicht weiter, obwohl es mich natürlich grundlegend über das Warum der menschlichen Existenz aufklärte.
Mir wurde bewusst: „Ich arbeite, also bin ich. “ Und so begab ich mich auf den virtuellen Arbeitsmarkt und hielt Ausschau nach Unternehmen, die mir berufliche Erfüllung versprachen. Ich wollte sie ins Gesicht geschrieben sehen. Ich wollte alles, nur nicht eines und zwar das, was ich womöglich am Besten konnte: Werbetexten.
Exotische Jobtitel sprangen mich an. Sales Engineer, Agent Customer Service Inbound, Service Delivery Manager, Mobile Performance Professional, Senior Key Account Controlling Outbound SAP CRM Business Client Development Kellner. Ach, du heilige Scheiße, da waren ja Kierkegaard und Nietzsche was für Erstklässler. Ich wollte doch nur einen Job, von dem ich meine Miete bezahlen, den Kühlschrank füllen und meine Freundin zum Essen ausführen konnte. Ich wollte einen Jobtitel, den ich auch aussprechen konnte. Und Aufgaben, die auch zu erfüllen waren, ohne dass ich meine Zitrone voll auspressen musste.
Etwas Lässigeres bitte als die Gesamtverantwortung für den weltweiten Exportbereich. Oder die Entwicklung und Umsetzung einer Wachstumsstrategie im internationalen Geschäft. Oder gar die Verfolgung der zur Zielerreichung erforderlichen Maßnahmen in den Zielmärkten. Großer Gott, wie sollte ich das machen? Die Maßnahmen verfolgen? Hinterher im Firmenwagen, mit GPS, Tempomat und Navi, eingestellt auf Mautstraßen vermeiden und kürzeste Route? Am Ende und mit leerem Tank komm ich dann an und eine weiche, weibliche Stimme sagt: „Sie haben Ihr Ziel erreicht.“ Scheiße, nein. Wie sollte ich meiner Oma erklären, womit ich mein Geld verdiente. Ich würde es ja selbst nicht verstehen.
Wenn es deine Mama nicht macht, dann mach ich es auch nicht
Ich bewarb mich bei einem Ticketverkauf mit den ehrlichen Worten: „Sehr geehrter Herr Müller, ich weiß, dass es die Jobbeschreibung Schriftsteller nicht gibt und ich allein aufgrund meines Wunsches, einer zu werden, meine Miete nicht zahlen, den Kühlschrank nicht füllen und meine Freundin auch nicht zum Essen ausführen kann. Deshalb suche ich eine geeignete Nebenbeschäftigung in Teilzeit, mit der ich das kann.“
Ich wurde eingeladen, allerdings wusste ich nicht, dass Herr Müller nicht wusste, wie viel man in München zur Lebenshaltung doch brauchte. Er bot mir acht Euro die Stunde an und wenn ich fleißig wäre nach einem Monat noch einen mehr. Ich fragte ihn, ob er seine Mutter gefragt hätte, ob sie es für das Geld auch machen würde. Danach war das Gespräch beendet. Ich warte immer noch auf die Zusage.
Jetzt hab ich mich aber auch bei einer Buchhandlung sozusagen als Fachkraft beworben. Ja, das würde mir gefallen. Den ganzen Tag umgeben von illustren Gedanken und herzerwärmenden Geschichten. Da könnt ich meinen Geist schärfen und weiter als Erzähler reifen. Wenn sie mir dann noch erlauben würden, mein Pils aus der Plastikflasche zu trinken und ein bisschen Yoga für den Rücken zu machen, wäre alles perfekt. Und dann…
Im Briefkasten war ein Zettel: Ihre Sendung ist da, sie liegt bei Ihrem Nachbarn. Meine Fantasie erwachte. Sie erblühte. War es die Buchhandlung? War es eine Einladung zum Vorstellungsgespräch? Warum schickten Sie mir keine Email, sondern Pakete? Aber nein, das ist ja noch besser, vielleicht schickten sie als Geschenk ein paar aktuelle Bücher. Das neue von Wolf Haas hätte mir gefallen. Ich klingelte beim Nachbarn, nahm das Paket in meinen Besitz und ab.
Voller Spannung sitze ich jetzt in Echtzeit davor, am Küchentisch und überlege, was wohl drinnen ist. Draußen ist es bewölkt und kalt. Der Sommer ist vorbei. Der Kaffee kocht und ich auch. Vor Excitement. Ja, Mann Freunde. Gerade eben bin ich der Performance Professional Manager of Excitement und ausnahmsweise weiß ich, was dieser Jobtitel bedeutet. Wo ist die Schere? Wie öffnet man das verdammte Ding? Nur nicht zu hastig, nur nichts kaputtmachen. Gleich nehmen die Wochen der sinnlosen Existenz ein Ende.
Ich arbeite, also bin ich. Ich arbeite also bin ich. Ich arbeite, also….ist ja geil. Geilomate. Das gibt es doch nicht. Darauf wart ich schon seit Tagen. Genau das Richtige jetzt. Das, was ich brauche. Hurra, Freunde. Meine Aboprämie ist da. Die vollständige Fernseh-Edition von Loriot. Auf DVD. Ich springe in die Luft. Ein seliges Lächeln umspielt meine Mundwinkel. Die nächsten Tage sind gerettet. Vielleicht lade ich Rico, Ecki und Bolle zum Mitschauen ein. Und ich glaube, ein, zwei Pils im Kühlschrank sind auch noch da.
der Spruch mit der Mutter ist Champions League 🙂
schönen gruss aus berlin, mate – ich sitz hier noch zwei stunden bei einem ähnlich ätzenden bürobrotjob wie dem, vor dem du gerade weggerannt bist 😉
Wenn das so ist,mein Freund,dann ist es höchste Zeit sich ein Pils zu schnappen und loszurennen.Renn,Timo,renn und schönen Gruss aus München 😉