Jetzt aber schnell, bevor das Wasser kalt wird

Heute früh bin ich als Frau aufgewacht und das erste, was mir auffiel: ich konnte mich nicht entscheiden. Steig ich jetzt mit dem linken oder dem rechten Fuß aus dem Bett? Ich blieb noch eine Weile liegen und überlegte. Eine halbe Stunde später betrachtete ich mich vor dem Spiegel. Geil. Ich hatte Brüste. Aber, welche von beiden gefällt mir nun besser? Die rechte war ein bisschen größer. Oder doch die linke? Schwierig, schwierig. Ich brauch jetzt einen Kaffee, dachte ich. Oder lieber Tee. In der Küche schaltete ich den Wasserkocher an. Kaffee oder Tee? Kaffee oder Tee? Kaffee oder Tee? Es war noch nicht mal Mittag und ich drehte schon am Rad. Mein Magen knurrte. Ich öffnete den Kühlschrank. Pudding oder Magerquark? Keine Ahnung. Ich machte den Kühlschrank wieder zu. Besser so. Gut für die Figur. Da. Eine Ritter Sport. Möchte wieder ein bisschen mehr Sport machen. Ich aß ein Stück Schokolade. Mmhh, lecker. Kaffee oder Tee? Oh Menno. Das Wasser wurde kalt.

Egal. Keine Zeit. Bin eh schon spät dran. Wie wird eigentlich das Wetter heute? Mantel oder Jäckchen? Zwiebellook? Nein, da schau ich aus wie Gemüse. Schnell etwas anziehen. Oh Gott, der nächste Schock. Alles nicht vogue-like. Muss unbedingt wieder Shoppen. Welche Bluse, welche Hose, was für Strümpfe, was für Schuhe? War ich nicht gestern noch ein Mann? Hatte ich nicht ein paar blaue Adidas-Sneakers? Ob die meine Figur betonen? Für den neuen Kollegen. Heißer Typ. Erinnert mich an Ashton Kutcher. Ist der nicht mit Demi Moore verheiratet? Bei denen kriselt es gerade, oder? Vielleicht hab ich ja Chancen. Mit der nehme ich es locker auf. Mein Freund sollte sich unbedingt einen Bart stehen lassen. Und lange Haare. Obwohl. Die hat er schon längst. Irgendwie hat er mir mit kurzen besser gefallen. Oder etwa nicht? Na ja, egal. Muss los jetzt.

Ob ich in Sneakers wohl sexy aussehe und er mich attraktiv findet? Der neue Kollege. Finde ich ihn etwa attraktiv? Finde ich meinen Freund noch attraktiv? Ach, du Stuhlgang. Kurz vor 9, mein Bus fährt gleich. Schnell in meine Lieblingsjeans. Unter welchem Klamotten-Berg ist sie denn nur? Panik. Panik. Schweißausbruch. Wie sehe ich aus? Schnell ein Blick in den Spiegel. Oh nein, der mikroskopisch kleine Pickel an meiner Stirnkante, den meine langen blonden Haare sowieso verbergen, sieht aus wie der Ätna. Das geht ja gar nicht. Und überhaupt, was ist schon wieder mit meinen Haaren los? Brauche dringend einen Frisur-Termin. Wo ist mein Handy? Ah. Eine SMS. Cool. Wer mir wohl schreibt?

Mein Freund. Was will der den so früh? „Hallo Schatz, denk an dich.“ Wie aufmerksam. Kann ich jetzt gar nicht gebrauchen. Am Anfang war er kreativer, mein Ashton Müller. In letzter Zeit lässt er sich schon irgendwie gehen. Ich nahm noch ein Stück Schokolade. Joghurt. Macht nicht so dick. Ein erneuter Blick in den Spiegel. Hm, Demi Moore bin ich ja auch nicht gerade. Wie ich wohl mit Fünfzig aussehe? Ist ja auch Banane. Ich punkte durch meine inneren Werte und meine Entschlussfreudigkeit. Meine beste Freundin sagt immer, man muss sich von Zeit zu Zeit neu erfinden. Recht hat sie. Wenn ich doch nur meine Jeans finden könnte.

Wie spät ist es denn? Ein Blick auf die Uhr. Upps. Ich glaub, ich mach blau. SMS ans Sekretariat. „Hallo Inge, komm nicht. Melde mich krank. Hab Migräne. Meiner Oma geht es nicht gut. Hatte einen Unfall. Liegt im Krankenhaus. Ein Vulkan ist ausgebrochen. Der Ätna. In meinem Gesicht. Such dir was aus, hihi…“ Meine Lotte, das kann doch wohl nicht wahr sein. Jetzt geht auch noch der Akku leer. Wo ist denn das verdammte Ladegerät? Kann hier nicht jemand aufräumen? In diesem Verhau findet man sich ja gar nicht mehr zurecht. Jetzt aber schnell in die Sneakers und auf zum Bus. Ich glaub, ich mach heute Schluss. Oder etwa nicht? Ach Frau, ich weiß es einfach nicht. Ohne Kaffee oder Tee bin ich morgens immer so unentschlossen.

Ich rannte den Flur entlang und ab durch die Tür. Bäng. Scheiße. Jetzt hatte ich auch noch meinen Hausschlüssel vergessen. Ich verzweifelte. Da kam der Hausmeister die Treppen rauf und rettete mich vor meinem Verderben: „Herr Tabula, was laufen sie denn hier in aller herrgottsfrühe so halbnackt mit Sneakers rum? Und überhaupt, warum spielen sie an ihren Nippeln?“ Herr Tabula? Ich fasste mir in den Schritt und heiliger Johannes. Ich schrie vor Freude. Ein Mann. Ein Mann. Ich war wieder ein Mann. Glücklich atmete ich auf und wusste ganz genau: Als Frau hätte ich es keine zwei Tage ausgehalten. Ohne Frauen aber noch weniger. Mädels, ich liebe euch.

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